Microsklaven
Satelliten-Kontrollzentrum der Air Force auf dem Luftwaffenstützpunkt Onizuka in Sunnyvale.
Ein Zitronenbaum blühte draußen vor dem Haus; die Luft war frisch und roch wie die Lobby eines teuren Hotels. Ethan hatte wie immer einen hübschen Anzug an und sah aus wie einer dieser sonnengebräunten Oscar-Verleihungs-Typen. (Aber dann wieder diese Schuppen!) Er begrüßte uns mit »Halloooo, mein lieber Inhalts-Lieferservice.« Wir fragten Ethan, ob er mit uns Jarts spielen wolle, doch er meinte: »Liebend gern, Kinder, aber ich bin so lichtempfindlich durch die Antidepressiva. Die Sonne bringt mich um. Sie verätzt meine Netzhaut wie einen Microchip. Spielt nur weiter, Kinder. Sonne ist gut für die Produktivität.« Dann ging er mit Dad in die Küche, um über Psychopharmaka zu reden, während Mom uns ein Tablett mit Dagwood-Sandwiches machte.
E than hat mir was echt Cooles erzählt. Er sagte, der Grund dafür, daß Löwenbändiger, während sie mit der Peitsche knallen, mit Stühlen herumfuchteln, sei, daß die Löwen dann gebannt auf die vier Stuhlbeinenden starren, aber nie auf alle zur gleichen Zeit - ihre Aufmerksamkeit wird ständig aufs neue abgelenkt, und so kann man sie bändigen. Ethan ist ein ziemlicher Wichtigtuer. Ich habe noch nie jemanden so reden hören. Susan sagt, er redet wie die Leute in einem Fernsehmehrteiler.
Sie hat recht: Ethan nervt, aber es ist schwierig, genau zu sagen, wieso - all diese kleinen Dinge, die er tut, addieren sich einfach zu einem ER NERVT. Wenn ich's recht bedenke, wird mir klar, daß mir diese Dinge wahrscheinlich nicht auf die Nerven gehen würden, wenn jemand anders sie täte. Es liegt einfach daran, wie er ist, total ölig und anbiedernd. Zum Beispiel kommt er immer, wenn er im Büro auftaucht, bei mir an, fragt mit so einer teilnahmsvollen Stimme: »Wie gehts's dir?« und schaut mir dabei tief in die Augen. Kotz. Als ob ihm was daran läge. Und wenn ich dann sage: »Gut«, krallt er sich in meine Schulter und sagt: »Nein, wirklich, geht's dir gut?«, als ob ich nicht ganz die Wahrheit sagen würde. »Ich weiß doch, wie hart du gearbeitet hast.« Mir fällt dann immer nichts ein, was ich antworten könnte, deshalb schaue ich einfach wieder auf meinen Bildschirm und kodiere weiter.
Eine weitere nervige Angewohnheit von ihm ist, daß er einen immer danach fragt, woran man derzeit arbeite, und gerade wenn man richtig ins Erzählen kommt, reißt er das Wort an sich und gibt irgendeine Anekdote über sich selbst zum besten. Ich habe ihm beispielsweise einmal erzählt, daß wir uns nicht entscheiden konnten, ob wir für Oop! Soundeffekte programmieren sollten oder nicht, daß wir versuchten, den zusätzlichen Speicherplatz zu berechnen, den der Ton in Anspruch nehmen würde, und daß wir überlegten, ob der durch Soundeffekte erzielte Mehrwert die zusätzliche Arbeit rechtfertigen würde. Es war, als hätte Ethan nur auf sein Stichwort gewartet. »Mehrwert«, fiel er ein. »So etwas ist doch gar nicht meßbar.
Schließlich bedeutet das für jeden etwas anderes.« Und dann kam die Geschichte, wie er mal Ferien auf Bali gemacht und in einer kleinen Hütte in diesem Super-Urlaubszentrum namens Amand-so-und-so gewohnt hat, für $400 pro Nacht, wo es sogar kleine Sklaven gab, die ihm jeden Wunsch erfüllten. In seinem Kopf schloß sich das nahtlos an den Begriff »Mehrwert« an, aber meine Frage nach Ton und Speicherkapazität fiel unter den Tisch.
Ich wünschte, wir hätten jetzt das Geld, das er auf Bali ausgegeben hat.
Ob man will oder nicht - man muß zugeben, daß Ethan offenbar tatsächlich eine Menge über das Valley-Business weiß. Wie viele Leute in der Computer- und Spieleindustrie ist er nie zum College gegangen. Er hat ein Spiel entworfen, daß sich in der Pong-Ära millionenfach verkauft hat, wurde Millionär, ging mit Atari pleite, wurde in Reagans 80ern mit irgendwas auf SEGA wieder Millionär, ging wieder pleite, und ich wette, jetzt, in den Multimedia-90ern, wird er Multimillionär.
Seine Glaubwürdigkeit als Techie ist auch gut. Irgendwo inmitten des ganzen Geldes hatte er auch noch genug Zeit übrig, um im El-Segundo-Labor von Xerox und bei TRW in Redondo Beach zu arbeiten.
I ch habe noch nie erlebt, daß eine Aktie soviel Aufsehen erregt hat wie die von 3DO. Wir alle überlegen, ob wir uns welche kaufen sollten. Ich meine, wenn wir das Geld dafür hätten. Ich muß mal daran denken, dort sonntags nachmittags am Firmenparkplatz vorbeizufahren.
K arla
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