Microsoft Word - Christian Jacq - RAMSES3 - Die Schlacht von Kadesch.rtf
auf den Gedanken gekommen, daß dieser wie üblich charmante und beredte Gastgeber in Wirklichkeit angstgepeinigt war.
«Du siehst blendend aus», sagte er zu seiner Schwester Dolente.
«Ein wundervoller Empfang, Chenar.»
Er reichte ihr den Arm und zog sie in die Vorhalle, die sich neben dem Festsaal erstreckte.
«Morgen früh werde ich Ofir aufsuchen. Er soll sein Haus nicht verlassen: Er ist in Gefahr.»
SECHSUNDZWANZIG
DOLENTE ÖFFNETE SELBST die Tür ihres Hauses. Chenar wandte sich um. Ihm war niemand gefolgt.
«Komm herein, Chenar.»
«Ist alles ruhig?»
«Ja, sei unbesorgt. Ofirs Künste machen Fortschritte. Lita verhält sich mustergültig, aber ihre Gesundheit ist gefährdet, deswegen dürfen wir nichts überstürzen. Warum bist du so besorgt?»
«Ist der Magier wach?»
«Ich werde ihn holen.»
«Huldige ihm nicht allzusehr, Schwesterchen.»
«Er ist ein wunderbarer Mensch, der dem wahren Gott wieder zur Herrschaft verhelfen wird. Und er ist überzeugt, daß du die Geschicke lenken wirst.»
«Hol ihn her, ich hab’s eilig.»
Der Libyer, in einem langen schwarzen Magiergewand, verneigte sich vor Chenar.
«Du mußt noch heute hier ausziehen, Ofir.»
«Was ist los, Hoher Herr?»
«Man hat dich in Pi-Ramses mit Moses reden sehen.»
«Hat man mich genau beschrieben?»
«Es hat nicht den Anschein, aber die Spürhunde wissen, daß du dich als Baumeister ausgegeben hast und Fremder bist.»
«Das ist doch zuwenig, Herr. Ich kann mich unsichtbar machen, sofern es nötig ist.»
«Du bist unvorsichtig gewesen.»
«An Moses heranzutreten war unerläßlich. Morgen werden wir uns zu diesem Schachzug vielleicht beglückwünschen.»
«Ramses ist wohlbehalten zurückgekehrt von seiner Expedition in unsere Schutzgebiete, er will Moses unbedingt wiederfinden und weiß jetzt, daß es dich gibt. Wenn Zeugen dich entlarven, wirst du festgenommen und verhört werden.»
Ofir lächelte, und Chenar gefror das Blut in den Adern.
«Glaubst du wirklich, daß man jemanden wie mich festnehmen kann?»
«Ich fürchte, daß du einen verhängnisvollen Fehler begangen hast.»
«Welchen?»
«Du hast Romet vertraut.»
«Wieso glaubst du, daß ich ihm vertraut habe?»
«Auf deinen Befehl hin hat er Nefertaris Schal und den Krug Fische aus dem Lebenshaus von Heliopolis geraubt, weil du sie brauchtest für deine Zauberei.»
«Ein scharfsinniger Schluß, Hoher Herr, aber er ist nicht ganz zutreffend: Romet hat den Schal entwendet, und einer seiner Freunde, ein Lieferant aus Memphis, hat das mit dem Krug übernommen.»
«Ein Lieferant?… Ja, und wenn der nun redet?»
«Dieser Unglücksmensch ist an einem Herzanfall gestorben.»
«Eines… natürlichen Todes?»
«Jeder Tod ist letztlich natürlich, Hoher Herr, wenn das Herz verstummt.»
«Bleibt noch der fette Romet… Serramanna ist von seiner Schuld überzeugt und bedrängt ihn unaufhörlich. Wenn Romet redet, wird er dich verraten. Auf Magie, die den König treffen soll, steht die Todesstrafe.»
Ofir lächelte immer noch.
«Gehen wir in meine Hexenküche.»
Der Raum war angefüllt mit Papyrusrollen, beschrifteten Elfenbeintäfelchen, Näpfen voller Farbmischungen und dünnen Schnüren. Keinerlei Unordnung, ein wohltuender Weihrauchduft. Das Ganze wirkte eher wie eine Werkstatt oder wie eine Schreibstube, nicht wie ein Raum, in dem Schwarze Magie betrieben wurde.
Ofir breitete die Hände über einen Kupferspiegel, der auf einem Dreifuß auflag.
Dann goß er etwas Wasser darüber und rief Chenar heran.
Im Spiegel zeichnete sich allmählich ein Gesicht ab.
«Romet!» rief Chenar.
«Der Haushofmeister des Pharaos ist ein tüchtiger Kerl, aber schwach, habgierig und leicht zu beeinflussen», erklärte Ofir. «Um den gefügig zu machen, bedurfte es keiner großen Zauberkunst. Der Diebstahl, den er begangen hat, wenn auch widerstrebend, nagt an ihm wie Säure.»
«Wenn Ramses ihn ausfragt, wird Romet reden.»
«Nein, Hoher Herr.»
Ofir beschrieb mit der Linken einen Kreis über dem Spiegel. Das Wasser begann zu kochen, und das Kupfer zeigte Risse.
Beeindruckt wich Chenar zurück.
«Wird dieser Zauberkniff Romet zum Schweigen bringen können?»
«Erachte diesen Fall als gelöst. Ich glaube nicht, daß ich umziehen muß, denn Besitzerin dieses Hauses ist doch deine Schwester?»
«Ja.»
«Jedermann sieht sie kommen und gehen. Lita und ich sind ihre fleißigen Dienstboten und haben keinerlei Lust, in der Stadt herumzuspazieren. Solange wir den magischen
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