Microsoft Word - Pelzer, Dave - Der verlorene Sohn.doc
ich blickte in den Spiegel und lächelte.
»Ja! «
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5. KAPITEL
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Hilflos
Nachdem ich erst mal von der neuen Freiheit gekostet hatte, verbrachte ich so viel Zeit wie möglich auf meinem Murray-Fahrrad. Sobald ich aus dem Bett gekrochen war, schlich ich zum offenen Fenster (zum Schlafen hatte ich die Jalousien nie heruntergelassen) und sah nach dem Wetter. Dann schlang ich mein Frühstück schnell herunter, erledigte in Windeseile 104
sämtliche Aufgaben, rannte die Treppe hinunter und knallte die Haustür hinter mir zu, nachdem ich Mrs.
Catanze noch schnell zugerufen hatte, dass ich jetzt ginge.
Mrs. Catanze beobachtete meinen Abgang meistens durch ihr Küchenfenster. Da ich nie eine Gelegenheit ausließ, mich in Szene zu setzen, winkte ich ihr noch hinter meinem Rücken zu. Manchmal trat ich bergab so schnell in die Pedale, dass ich das Gefühl hatte, davonzufliegen. Minuten später legte ich meine Füße dann auf die Fahrradstange und sauste über den frisch gemähten Rasen des Parks mit dem Spielplatz.
Nachdem ich mein Fahrrad abgestellt hatte, kletterte ich in dem riesigen Fort aus massivem Holz herum. Ich kletterte an allen Seilen und rannte und sprang auf der Zugbrücke herum, die an Ketten hing. Nachdem ich mich müde getobt hatte, legte ich mich einfach auf den Rücken und holte neuen Atem.
Ich legte mich immer ganz oben hin, damit ich die Wärme der Sonnenstrahlen spüren konnte, wie sie allmählich immer weiter den Park hinaufkrochen.
Wenn ich ein Lachen hörte, sah ich fasziniert über die Brüstung des Forts hinweg zu, wie andere Kinder, meist jünger als ich, mit ihren Freunden oder Eltern spielten.
Am liebsten hätte ich mitgemacht, doch bevor ich zu ihnen hätte hingehen können, bekam ich es schon mit der Angst zu tun. Irgendwie wusste ich, dass ich nicht dazugehörte.
Immer blieb ich im Park, bis ich das Magenknurren nicht mehr unterdrücken konnte. Dann sprang ich aufs Fahrrad und strampelte ganz lässig die Straße hinauf zu Lilians Haus. Wenn ich dann durch die Haustür stürmte, holte ich tief Luft und brüllte: »Bin wieder da!«
Lilian antwortete mir immer. Aber eines Tages blieb ihre 105
Antwort aus. Ich sprang die Treppe hinauf und rannte in die Küche.
Als ich jemanden hinter mir sagen hörte: »Sie ist nicht da, Zwerg!«, wandte ich mich schnell um. Larry junior war übel gelaunt wie immer.
Ich hätte ihm ja so gern mal richtig die Meinung gesagt, aber ich biss mir auf die Lippen und starrte zu Boden, verhielt mich ängstlich und nickte, ohne aufzublicken, mit dem Kopf. Das alles sollte ihm signalisieren, dass er gewonnen hatte. Doch als ich versuchte, in mein Zimmer zu entwischen und dort auf Lilian zu warten, stellte er sich mir in den Weg. Ohne Vorwarnung packte er meinen Arm.
»Wo will das kleine Mamasöhnchen denn hin?«, sagte er mit greinender Stimme, als er noch fester zupackte.
Ich blickte ihm hasserfüllt in die Augen und versuchte, mich aus seinem Griff zu entwinden. »Hey, du ... lass mich endlich los!«, schrie ich.
»Ja, Larr ... Larry, la ... lass ... lass den Jungen ... end
... endlich los«, stotterte Chris. Ich blickte zu Chris, einem anderen Pflegebruder, auf. Ihn hier zu sehen, überraschte mich, weil er meistens unten in seinem Zimmer blieb.
Larry junior behielt den eisernen Griff um meinen Arm bei, aber an seinem hinterhältigen Gesichtsausdruck konnte ich ablesen, dass er sich gleich Chris zuwenden würde. Er drückte noch einmal kräftig zu, ehe er mich beiseite stieß. »Wa ... wa ... was will denn unser geistig Zurückgebliebener da? Sollte er sich nicht lieber in sein kleines Zimmerchen zurückziehen?«, fragte Larry höhnisch.
Chris litt an Gehirnlähmung. Er war der erste Mensch mit dieser Krankheit, den ich kannte. Ich konnte die 106
Schmerzen in seinen Augen sehen und wusste, wie das war, wenn man lächerlich gemacht wurde. Ich hasste es. Ferner wusste ich, dass Larrys einziges Vergnügen darin bestand, Chris' Gefühle zu verletzen. Chris ging langsam auf Larry zu, bis er Fußspitze an Fußspitze vor ihm stand. Larry zuckte mit den Augenbrauen, als er seinen rechten Arm schwenkte, als wolle er zu einem Schwinger ausholen. Lebhaft stellte ich mir vor, wie Larry auf Chris einhieb und ihm die Zähne ausschlug.
Spontan schrie ich auf: »Nein! Aufhören! Hört endlich auf!«
Larry schwang seinen Arm in Richtung Chris, aber im letzten Augenblick fuhr er ihm nur mit der Hand durchs Haar. »Reingefallen!«, höhnte er. »Ha! Um
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