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Microsoft Word - Pelzer, Dave - Der verlorene Sohn.doc

Microsoft Word - Pelzer, Dave - Der verlorene Sohn.doc

Titel: Microsoft Word - Pelzer, Dave - Der verlorene Sohn.doc Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: jojox
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schockiert, dass Mutter sich entschieden hatte, es mir vorbeizubringen.
    Der Besuch von Mutter und den Jungen dauerte nur ein paar Minuten, aber Lilian wich mir demonstrativ nicht von der Seite. Obwohl Mutters Einstellung entspannter zu sein schien - nicht so kaltherzig und gemein wie damals, als sie mich bei Tante Mary besucht hatte -, sprach sie immer noch nicht mit mir.
    Dabei hätte ich ihr so viel zu erzählen gehabt. Ich hätte ihr gern mein Zimmer gezeigt, meine neue Kleidung und meine Kunstwerke aus der Schule. Vor allem wollte ich Mutter für mein Leben gern beweisen, dass ich ihre Anerkennung wirklich verdient hatte.
    »Nun«, sagte Mutter, als sie sich vom Sofa erhob,
    »ich wollte einfach nur mal vorbeischauen. ... Und denk dran, David, ich werde von Zeit zu Zeit nachsehen kommen, wie's dir geht. Also ... sei gefälligst ein guter Junge«, sagte sie mit hinterhältiger Stimme.
    Lilian hob die Hand und brachte mich zum Schweigen, bevor ich etwas erwidern konnte. »Danke für Ihren Besuch, Mrs. Pelzer. Und denken Sie bitte dran, Sie 94

    müssen sich vorher telefonisch anmelden, wenn Sie vorbeikommen wollen«, sagte Lilian, als Mutter das Haus verließ.
    Ich rannte die Treppe hinauf und hielt vor einem großen Fenster an. Ich setzte mich auf die Fensterbank und sah zu, wie Mutter und die Jungen einer nach dem andern in den verblassten grauen Kombiwagen stiegen. Als sie abfuhren, winkte ich hektisch, doch niemand sah mein Winken. In meinem Herzen wusste ich, dass alles umsonst war. Ich wünschte mir nur, dass einmal - nur ein einziges Mal -
    jemand von ihnen zurücklächelte und zurückwinkte.
    Lilian stieß einen tiefen Seufzer aus, dann legte sie ihre Hände auf meine Schultern. »So, das war also deine Mutter? Alles in Ordnung?«
    Ich nickte zustimmend mit dem Kopf. Ich sah zu Lilian auf. Tränen rannen mir die Wangen hinab. »Sie hat mich nicht lieb, nicht wahr? Ich meine ... ich versteh's einfach nicht. Warum? Warum spricht sie nicht mal mit mir? Bin ich denn so schlecht? Und warum haben Sie mir nicht gesagt, dass sie kommen wollte? Warum? Ich habe keine Lust mehr, mich von ihr so behandeln zu lassen, wie ... als wenn ich ein Nichts wäre. Ich habe die Nase voll von ihr, von meinen Brüdern, vom blöden Larry ... «
    Ich zeigte mit dem Finger zum Fenster hinaus. »Sie hat nicht mal mit mir geredet. Nie redet sie mit mir.
    Nie!« Ich wandte mich zu Lilian um.
    »Bin ich denn so schlecht? Ich versuche doch, nett zu sein. Ich versuche, gut zu sein. Außerdem habe ich ihr nicht gesagt, dass sie vorbeikommen sollte, oder?«
    Ich begann, meiner Wut freien Lauf zu lassen. Wild mit den Händen gestikulierend ging ich im Wohnzimmer auf und ab. »Hab' ich ihr gesagt, dass sie mich schlagen 95

    sollte? ... Dass sie mich ... dass sie mir tagelang nichts zu essen geben sollte oder ... oder mich in der Garage wohnen und

    schlafen lassen sollte wie ... wie ... ein Tier? ... Nachts hat sie mir nicht mal eine Decke gegeben. Manchmal war mir so kalt ... ich hab' wirklich versucht, mich warm zu halten. Ganz bestimmt«, schrie ich und nickte mit dem Kopf.
    Ich putzte mir mit dem Finger die Nase und schloss meine Augen. Einen kurzen Augenblick lang sah ich mich vor der Spüle in der Küche stehen - damals, in meinem alten >Zuhause<. Neben mir konnte ich eine stinkende rosa Papierserviette sehen. Ich tat einen tiefen Atemzug, ehe ich meine Augen öffnete. »Ich ...
    ich ... erinnere mich, wie ich an einem Samstagnachmittag ... sie ließ mich einen Hundehaufen auflesen ... und ... ich war in der Küche; sie war im Wohnzimmer, lag auf dem Sofa und guckte Fernsehen.
    Das ist alles, was sie tut, den ganzen Tag, jeden Tag, immer nur ihre Fernsehshows. Na gut ... Alles, was ich hätte tun müssen, wäre ... ich hätte die Scheiße nur ins Klo werfen müssen. Dann hätte sie's gar nicht gemerkt.
    Ich wusste, wenn sie's trotzdem gemerkt hätte, wäre es schon zu spät gewesen. Ich meine, wenn sie gehört hätte, wie ich die Spülung zog, wäre es zu spät gewesen ... aber ich habe sie gegessen, weil sie's mir gesagt hat. Und als ich's tat, habe ich innerlich geweint, nicht wegen der ... sondern ... weil ich zugelassen hatte, dass sie mir das antat. Denn all die Jahre hatte ich's geschehen lassen, dass sie mich so behandelte -
    so, wie sie's tat. Jahrelang habe ich mich ja so geschämt!«

    96

    Ich begann zu wimmern. »Ich hab' nie darüber gesprochen. Ich hab' nie was gesagt ... Vielleicht hat Larry ja doch recht. Vielleicht bin

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