Microsoft Word - Pelzer, Dave - Der verlorene Sohn.doc
euch Doof-köppe reinzulegen, muss man sich gar nicht besonders anstrengen, oder?«
Ich spürte, wie mein Körper immer mehr in Wallung geriet. »Verpiss dich!«, schrie ich.
Larrys Augen weiteten sich. »Oho, Mamasöhnchen -
riskiert auch noch 'ne kesse Lippe. Ich hab ja solche Angst vor dir! Ich will dir mal was sagen, du Zwerg«, knurrte Larry, als er mich gegen die Küchenplatte schubste, »warum forderst du mich nicht einfach heraus?«
Ich wusste, dass er mich mit seiner Größe wie einen kleinen Ast umknicken konnte. Aber das war mir jetzt ganz egal. »Verschwinde, Kerl«, fuhr ich ihn an, »du gehst mir auf den Wecker! Nur weil du älter und größer bist ... das gibt dir noch lange kein Recht, so mit uns umzugehen, oder? Wie würde es dir denn gefallen, wenn sich jemand mal ernsthaft an dir vergreifen würde?«
Einen Augenblick schien Larry benommen
dazustehen. Dann schüttelte er seinen Kopf wach.
107
»Und was meinst du, wer du bist - vielleicht Dr.
Spock?« Ich hielt eine Sekunde lang inne und überlegte, was Larry da gerade
gesagt hatte. Spock? Meinte er etwa den Offizier aus dem Raumschiff Enterprise aus der Fernsehserie Star Trek?*
»Wenn ich an deiner Stelle wäre«, fuhr Larry fort,
»würde ich mich nur um meine eigenen
Angelegenheiten kümmern und schön friedlich auf meinem kleinen Fahrrad in der Gegend herumfahren.
Sonst«, fügte er mit breitem Grinsen hinzu, »könnte es ganz schnell passieren, dass ich deine kleine Visage benutze, um damit den Fußboden zu polieren! «
Ich rastete aus. Ich wollte an seinen langen Beinen hinaufklettern und ihm ins Gesicht schlagen. Ich rannte zu Larry hin und schrie: »Ich hab keine Lust mehr, mir von
* Anmerkung des Übersetzers: Dr. Benjamin Spock (1903-1998), berühmter amerikanischer Kinderarzt, vor allem bekannt als Autor von Ratgebern zur Kindererziehung.
Scheißkerlen wie dir noch weiter alles gefallen zu lassen. Du ... du ... Arschgesicht! Du hältst dich für soooo toll. Dabei biste nur 'n mieser Stinker ... du Schlägertyp. Du bist kein ... kein ... ach, Scheiße! Du bist ja soooo stark, nicht wahr? Als ob man wirklich stark sein müsste, um jemand wie Chris anzumachen.
Du willst wohl gern eins in die Fresse haben? Na, dann komm doch. Los, komm schon! Zeig, was du kannst!
Komm schon, du starker Held! Na ...?«
Ich spürte, wie sich meine Finger zur Faust ballten.
Ich wusste, dass ich etwas Falsches tat, doch nach all 108
den Jahren, in denen ich immer den Kürzeren gezogen hatte, wenn andere, die sich überlegen fühlten, mich anmachten, war mir jetzt endgültig der Kragen geplatzt.
Als ich sah, wie Larry Chris behandelte, war mein Blut in Wallung geraten. Ich musste einfach etwas tun.
Als ich fühlte, wie mein Atem schwerer wurde, konnte ich erkennen, dass ich Larry wirklich zusetzte. Sein Gesichtsausdruck wurde sehr angespannt, als ich nicht locker ließ. Endlich einmal war ich auf der Seite der Austeilenden. Dieses Gefühl gefiel mir sehr. Larrys Gesicht verzerrte sich immer mehr, bis er mich schließlich mit dem Ellbogen gegen die Abdeckplatte in der Küche stieß. Ich fühlte, wie mein Kopf sich an etwas Hartem stieß, doch vor lauter Wut spürte ich die Schmerzen nicht.
Ehe Larry aus der Küche stürmte, drohte er Chris mit erhobenen Fäusten. »Hey, du da, pass nur gut auf, sonst merkst du irgendwann demnächst auf einmal, wie du die Treppe runterfliegst und dir deinen zurückgebliebenen Hals brichst! Und merk 's dir gut: Zum Kämpfen braucht man mehr als diesen Mickerling da, diesen verdammten Waschlappen! «
»Und du«, Larry blieb stehen, als er mich ansah,
»pass bloß auf deine große Klappe auf. Wenn ich wollte
... könnte ich dir mal so richtig das Zifferblatt polieren ...
einfach so!«, prahlte er, während er mit den Fingern schnipste. »Hey, ihr beiden, kommt mir, verdammt, bloß nicht noch mal in die Quere! Habt ihr verstanden? Ihr blöden Spinner! «
Ich umklammerte die Küchenplatte mit meinen Händen, bis ich hörte, wie Larry die Tür zu seinem Zimmer so zudonnerte, dass die Fenster oben vibrierten. Nach 109
ein paar Sekunden ließ ich die Platte los und schloss die Augen, um meinen Atem wieder unter Kontrolle zu bringen. Anscheinend brauchte ich ewig, bis ich wieder normal atmen konnte.
Ich öffnete die Augen und suchte nach Chris. Er war verschwunden. Als ich aus der Küche ins Wohnzimmer rannte, hörte ich, wie die Tür zu Chris' Zimmer ebenfalls zugeknallt wurde. Ich rannte die Treppe
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