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Microsoft Word - Pelzer, Dave - Der verlorene Sohn.doc

Microsoft Word - Pelzer, Dave - Der verlorene Sohn.doc

Titel: Microsoft Word - Pelzer, Dave - Der verlorene Sohn.doc Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: jojox
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riesige wandelnde Baumstümpfe und nicht wie Teenager. In den ersten Tagen meines Aufenthalts entwickelte ich einen Überlebensplan. Ich wollte mich ganz im Hintergrund halten, um keine Aufmerksamkeit zu erregen, und vor allem wollte ich meine riesige 178

    vorlaute Klappe endlich mal halten. In meiner ersten Woche in Hillcrest brachen direkt vor meiner Nase sechs heftige Schlägereien aus, und bei dreien davon ging es darum, wer als Nächster mit dem Billardspielen dran war. Ich rannte ein paarmal gegen Wände, weil ich aus Angst vor Blickkontakten meinen Kopf meistens gesenkt hielt. Vom Billardtisch hielt ich mich so weit wie möglich entfernt.
    Ich atmete ein wenig auf, als ich aus der Abteilung für Neuankömmlinge, dem A-Flügel, nach oben in den C-Flügel verlegt wurde, in dem die jüngeren, meist hyper-aktiven Kinder wohnten. Ich erfuhr, dass die Verhaltensregeln in diesem neuen Flügel längst nicht so streng waren. Auch spürte ich keine Notwendigkeit mehr, immer schnellstens in meine Zelle zu hasten, wie ich es getan hatte,
    sobald das Personal im A-Flügel uns den Rücken gekehrt hatte und alle Insassen wieder in ihre Zellen geschickt wurden. Die Betreuer im C-Flügel schienen im Umgang mit den Kindern viel offener und kontaktfreu-diger zu sein. Hier fühlte ich mich sicher.
    Eines Nachmittags wurde ich unerwartet aus dem Aufenthaltsraum gerufen. Kurz darauf merkte ich, dass ich Besuch hatte. Als mich der Betreuer über die Besuchsvorschriften instruierte, bekam ich vor lauter Aufregung Magenbeklemmungen. Bis dahin hatte ich nicht gewusst, dass ich überhaupt Besuch bekommen durfte, und so fragte ich mich, wer denn wohl den weiten Weg nach Hillcrest auf sich genommen hatte, um mich zu besuchen.
    Als ich durch die kleine Tür stürmte, hatte ich Bilder von Ms. Gold und Lilian im Kopf. Doch keine Sekunde später erschlaffte mein Körper. Hinter dem kleinen Tisch saß Vater auf einem Stuhl direkt an der Wand.

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    Außer Mutter war Vater der letzte Mensch, den ich hier, während meines Aufenthalts in der Jugendstrafanstalt, sehen wollte.
    Meine Hände zitterten, als ich mir einen Stuhl nahm.
    »Na, David«, sagte Vater mit emotionsloser Stimme,
    »wie geht's dir?«
    »Gut«, antwortete ich, während ich versuchte, Vaters Blick auszuweichen.
    »Ja ... du bist gewachsen. Wie lange ist es schon her?«
    »Ungefähr ein Jahr, Sir.«
    Meine Augen tasteten sich an Vaters Körper empor.
    Ich versuchte mich daran zu erinnern, wann ich ihn das letzte Mal wirklich angesehen hatte. »War das noch, als ich
    >zu Hause< wohnte?«, fragte ich mich. Als er sich auf den

    kleinen Tisch vor mir stützte, wirkte Vater sehr dünn.
    Sein Gesicht und sein Hals waren dunkelrot und ledern.
    Sein früher immer sauber gekämmtes Haar war jetzt fettig und grau. Alle paar Sekunden musste er husten.
    Seine Hand verschwand in seiner Jackentasche und suchte nach einer Zigarettenschachtel. Er zog sich eine Zigarette heraus und klopfte sie auf dem Tisch fest, ehe er sie anzündete. Nach ein paar Zügen hörten seine Hände auf zu zittern.
    Ich schämte mich viel zu sehr, um ihm in die Augen sehen zu können. »Äh ... Papa, bevor du irgendwas sagst ... sollst du wissen ... «
    »Halt den Mund!«, donnerte Vater mit lauter Stimme.
    »Du brauchst gar nicht erst anzufangen, mir deine Lügen zu erzählen!« Er nahm einen tiefen Zug, bevor er 180

    seine Zigarette ausdrückte und sich eine neue ansteckte. »Um Himmels willen, wenn sie das je auf der Feuerwache erfahren ... weißt du, was das für mich bedeuten könnte? Als ob ich da nicht schon mit genug anderen Problemen zu kämpfen hätte! «
    Ich beugte den Kopf und wäre am liebsten von der Bildfläche verschwunden.
    »Nun?«, grollte Vaters Stimme. »Und als ob das noch nicht reichte, hast du deiner verrückten Mutter auch noch alle Munition an die Hand gegeben, die sie je brauchte!« Er hielt inne, um einen weiteren Zug zu nehmen. »Herrje! Du hattest es doch geschafft! Und dann kriege ich plötzlich einen Anruf nach dem andern von dieser Sozialarbeiterin da ... «
    »Ms. Gold?«, murmelte ich.
    »Endlich finde ich die Zeit, sie anzurufen, und dann erzählt sie mir, dass du weggelaufen bist und gestohlen hast und dich in alle möglichen Schwierigkeiten gebracht hast ... «
    »Aber Papa, ich hab's wirklich nicht ... «
    »Du hältst besser deinen Mund, sonst stopf ich ihn dir«, brüllte Vater. Er hielt einen Augenblick inne und stieß eine Rauchwolke aus. »Du kannst einfach keine Ruhe

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