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Microsoft Word - Pelzer, Dave - Der verlorene Sohn.doc

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Titel: Microsoft Word - Pelzer, Dave - Der verlorene Sohn.doc Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: jojox
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Schlussfolgerung gebracht hatte. Für ihn war ich schuldig, und ich wusste, dass ich mit noch so viel Worten diese Meinung nicht mehr würde ändern können. Mit Tränen in den Augen sah ich zu Rudy auf.
    Ich wünschte mir nichts sehnlicher, als dass er an mich glaubte.
    »Diese Krokodilstränen könnten dir vielleicht bei Lili an helfen, aber bei mir wirst du damit überhaupt nichts erreichen«, sagte er.
    Ich räusperte mich, ehe ich winselnd fragte: »Mein Vater hat angerufen?«
    Lilian nickte zustimmend mit dem Kopf, ehe sie Rudy am Ärmel zupfte. »Lass uns die Sache noch mal überschla
    fen, ja?«
    Doch Rudy ließ seine Wut jetzt an Lilian aus. »Werd doch endlich wach, Lil! Um Himmels willen, hier geht's 174

    doch nicht mehr um geklaute Süßigkeiten. Er hat eine Schule in Brand gesetzt ... «

    »Nein! «, sagte Lilian, ihm ins Wort fallend. »Der Direktor meint, dass noch ein anderer Junge beteiligt war! «
    Rudy wirkte müde. Ich konnte die dunklen Ringe unter seinen Augen sehen. »Aber Lil, was macht das schon für einen Unterschied? Er ist ein Pflegekind. Man hat ihn beim Ladendiebstahl erwischt und seine Mutter hat unsinnige Anzeigen gegen ihn erstattet. Was meinst du denn, wem sie glauben werden? Darauf kommt's doch letztlich an! «
    Lilian brach in Tränen aus. »Rudy, ich weiß. Aber ich weiß auch, dass er kein schlechtes Kind ist. Er ist nur
    ... «
    Ich wollte sie umarmen und ihr all die Schmerzen nehmen, die ich ihr verursacht hatte.
    »Ja«, antwortete Rudy, jetzt mit ruhigerer Stimme,
    »Lil, ich weiß, dass er nicht mal halb schlecht ist ... aber er hat bereits einen Fuß im Grab und den anderen auf einer glitschigen Bananenschale. Diesmal hat er sich besonders tief reingeritten und ... also ... « Er rieb sich die Stirn.
    »David«, sagte Rudy mit beruhigender Stimme, während er meine Schultern hielt, »ich weiß, ich brülle dich ziemlich oft an, und du hältst mich vielleicht für ein Ungeheuer. Aber du bist mir nicht gleichgültig. Sonst hätte ich dich schon lange aus dem Haus geworfen. Um dich herum schlagen die Wellen jetzt enorm hoch, und ich kann überhaupt nichts daran ändern. Darum bin ich wahrscheinlich so aufgebracht. Doch egal was geschieht, ich möchte, dass du weißt, dass wir dich ins 175

    Herz geschlossen haben.« Er hielt einen Augenblick inne, um sich die Augen zu reiben. Er blickte zu mir herab und massierte meine Schultern. »Tut mir Leid, mein Sohn, aber mir sind jetzt die Hände gebunden. Ich muss dich morgen nach Hillcrest bringen.« Tränen liefen ihm übers Gesicht.

7. KAPITEL
Mutterliebe

    176

    Als Rudy Catanze mich in die Jugendstrafanstalt San Mateo County Juvenile Hall fuhr, hyperventilierte ich so heftig, dass ich fast in Ohnmacht fiel. Der obere Teil meines Brustkorbs fühlte sich an, als wäre er von einem riesigen Gummiband zusammengeschnürt. Selbst als Rudy mir in letzter Minute einige Ratschläge gab, konnte ich mich nicht konzentrieren, weil ich schreckliche Angst vor dem hatte, was mich als Nächstes erwartete.
    Am Vorabend hatte mir Larry junior sehr lebhaft geschil-dert, was die größeren, älteren jungen dort mit den jün-177

    geren, zarten, schwächlichen jungen anstellten, den so genannten »Frischlingen«. Als ich mich während der Aufnahmeprozedur vor dem Betreuer nackt ausziehen musste, fühlte ich mich total entwürdigt. Ehe ich duschen durfte, musste ich vor dem Anstaltsarzt meine Arschbacken spreizen, und nach dem Duschen zog ich die nicht gerade frisch riechende »Anstaltskleidung« an.
    Ich erschauerte, als die massive Eichentür zu meiner Zelle hinter mir ins Schloss fiel. In weniger als einer Minute hatte ich meine neue Umgebung untersucht. Die Wände bestanden aus schmutzigen weißen
    Portlandzementsteinen. Die Zelle hatte einen verblichenen, eingewachsten Zementfußboden. Ich verstaute mein nasses Handtuch,

    meine Unterwäsche und die Strümpfe zum Wechseln in dem winzigen Regal. Als ich am Fußende des an die Wand montierten Bettes saß, musste ich eigentlich dringend mal zur Toilette - als mir auffiel, dass es in der Zelle gar keine Toilette gab. Nachdem ich mir die schwarze Wolldecke über den Kopf gezogen hatte, lockerten sich die unsichtbaren Gummibänder um meinen Brustkorb ein wenig. Kurz darauf war ich bereits eingeschlafen.
    Zum ersten Mal öffnete sich meine Zellentür am Nachmittag, zur gemeinsamen Spiel- und
    Erholungszeit. Wie auf Eierschalen ging ich den Gang entlang. Die anderen Jugendlichen erschienen mir eher wie

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