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Middlesex

Middlesex

Titel: Middlesex Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeffrey Eugenides
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hat: Kyrie eleison, Kyrie eleison, ich bin nicht würdig, vor Deinen Thron zu treten, aber schon bald nimmt es eine andere Richtung, wird persönlich: Ich weiß nicht, warum ich so empfinde, das ist nicht normal..., und dann schleicht sich ein kleiner Vorwurf ein, er betet: Du hast mich so gemacht, ich habe nicht darum gebeten, Dinge zu denken wie..., nur um am Ende zu flehen: Gib mir Kraft, Christos, lass mich nicht so sein, ach, wenn sie das wüsste. .., die Augen fest zugekniffen, die Hände um die Krempe des Homburgs gekrallt, und mit dem Weihrauch steigen die Worte zu einem im Werden begriffenen Christus auf.
    Er betete fünf Minuten lang. Ging dann nach draußen, setzte sich den Hut wieder auf den Kopf und klimperte mit den Münzen in seinen Taschen. Er stieg die abschüssigen Straßen wieder hoch, und jetzt (sein Herz war erleichtert) versuchte er alles, was er sich auf dem Herweg versagt hatte. Er betrat ein Kaffeehaus, um eine Tasse Mokka zu trinken und zu rauchen. Er ging auf einen Ouzo ins Cafe. Die Backgammonspieler schrien: »He, Valentino, wie war's mit einem Spielchen?« Er ließ sich zu einem Spiel beschwatzen, einem einzigen, verlor dann und musste auf doppelt oder nichts gehen. (Die Papierschnipsel mit Zahlen, die Desdemona in Leftys Hosentaschen gefunden hatte, waren Spielschulden.) Die Nacht zog sich hin. Der Ouzo floss. Die Musiker kamen, und die Rembetika setzte ein. Sie spielten Lieder über die Lust, den Tod, das Gefängnis und das Leben auf der Straße. »In der Haschhöhle am Hafen, wo ich jeden Tag war«, sang Lefty mit, »Um den Schmerz zu verjagen, früh am Morgen sogar; da waren zwei Haremsmädchen, die saßen auf dem Sand, Ganz berauscht waren die Armen, und trotzdem elegant.« Unterdessen wurde die Huka gestopft. Um Mitternacht schwebte Lefty zurück auf die Straße.
    Eine abschüssige Gasse, sie biegt ab, endet. Eine Tür geht auf. Ein Gesicht lächelt, lockt. Das Nächste, woran Lefty sich erinnert, ist das: Er sitzt mit drei griechischen Soldaten auf einem Sofa, die Blicke auf sieben pralle, parfümierte Frauen gerichtet, die sich ihnen gegenüber auf zwei Sofas verteilen. (Auf einem Grammophon läuft der Hit, der überall läuft: »Jed'n Morgen, jed'n Abend...«) Und mit einem Mal ist sein Gebet von vorhin vollkommen vergessen, denn Madam sagt: »Welche du willst, Süßer«, und Leftys Augen streichen über die blonde, blauäugige Tscherkessin, und die kleine Armenierin beißt anzüglich in einen Pfirsich, und dann die Mongolin mit dem Pony; sein Blick schweift weiter und bleibt schließlich auf einem stillen Mädchen am Ende eines der beiden Sofas haften, einem Mädchen mit traurigen Augen, makelloser Haut und zu Zöpfen geflochtenem schwarzem Haar. (»Für jeden Dolch gibt's eine Scheide«, sagt Madam auf Türkisch, was die Huren zum Lachen bringt.) Sich seiner Reize nicht bewusst, steht Lefty auf, zieht die Jacke glatt, hält seiner Auserwählten die Hand hin... und erst als sie ihn die Treppe hinaufführt, sagt eine Stimme in seinem Kopf, dass dieses Mädchen exakt bis dahin reicht, wo... und ist ihr Profil nicht genau wie... aber schon haben sie das Zimmer mit den unsauberen Laken erreicht, der blutfarbenen Öllampe, dem Geruch nach Rosenwasser und dreckigen Füßen. In der Trunkenheit seiner jungen Sinne achtet Lefty nicht auf die wachsenden Ähnlichkeiten, die das sich entkleidende Mädchen enthüllt. Seine Augen registrieren die großen Brüste, die schmale Taille, die Haare, die bis zu dem wehrlosen Steißbein in Kaskaden herabfallen; doch Lefty zieht keine Verbindungen. Das Mädchen stopft ihm eine Huka. Bald driftet er weg, hört nicht mehr die Stimme in seinem Kopf. In dem lieblichen Haschischtraum der nachfolgenden Stunden verliert er das Gefühl dafür, wer er ist und bei wem er sich aufhält. Die Gliedmaßen der Prostituierten werden zu denen einer anderen Frau. Ein paar Mal ruft er einen Namen, aber da ist er schon zu bekifft, um es zu bemerken. Erst später, als das Mädchen ihn zur Tür geleitet, bringt sie ihn wieder in die Wirklichkeit zurück. »Übrigens, ich heiße Irini. Eine Desdemona haben wir hier nicht.«
    Am nächsten Morgen erwachte er im Gasthaus zum Kokon, mit schlechtem Gewissen. Er verließ die Stadt und stieg wieder den Berg nach Bithynios hinauf. Seine Taschen (leer) machten kein Geräusch. Verkatert und fiebrig redete Lefty sich ein, dass seine Schwester Recht hatte: Es wurde Zeit, dass er heiratete. Er würde Lucille heiraten, oder Victoria. Er

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