Middlesex
und keiner sprach über Frauen, weil im Kaffeehaus ein jeder Junggeselle war, egal, wie viele Jahre er auf dem Buckel oder wie viele Kinder er einer Ehefrau, die deren Gesellschaft der seinen vorzog, geschenkt hatte. Das-Gesprächsthema war immer dasselbe, die Türken und ihre Brutalität, Venizelos und seine Fehler, König Konstantin und seine Rückkehr sowie das ungesühnte Verbrechen, Smyrna niederzubrennen.
»Und kümmert das jemanden? Nein!«
»Es ist so, wie Berenger zu Clemenceau gesagt hat: ›Wer das Öl besitzt, besitzt die Welt.‹«
»Diese verdammten Türken! Mörder und Schänder!«
»Erst haben sie die Hagia Sophia entweiht, dann haben sie Smyrna zerstört!«
Da rief Zizmo: »Jetzt hört aber auf zu meckern. An dem Krieg waren die Griechen schuld.«
»Was!«
»Wer ist wo eingefallen?«, fragte Zizmo.
»Die Türken sind eingefallen. 1453.«
»Die Griechen kriegen doch nicht mal ihr eigenes Land in den Griff. Wozu brauchen sie da noch eines?«
Männer standen auf, Stühle wurden umgeworfen.
»Verdammt, was bist du denn für einer, Zizmo? Verfluchter Pontier! Türkensympathisant!«
»Ich sympathisiere mit der Wahrheit«, brüllte Zizmo. »Es gibt keinen Beweis, dass die Türken den Brand gelegt haben. Das haben die Griechen getan, um den Türken die Schuld zu geben.«
Lefty trat zwischen die Männer, verhinderte eine Prügelei. Danach behielt Zizmo seine politischen Ansichten für sich. Mürrisch saß er vor seinem Kaffee, las ein seltsames Sammelsurium alter Zeitschriften oder Broschüren, die sich in Spekulationen über Weltraumreisen und alte Kulturen ergingen. Er kaute seine Zitronenschalen und riet Lefty, es ihm nachzutun. Zusammen richteten sie sich in der zufälligen Kameraderie von Männern an der Peripherie einer Geburt ein. Wie bei allen werdenden Vätern wandten sich ihre Gedanken zum Geld.
Den Grund für seine Entlassung bei Ford hatte mein Großvater Jimmy nicht genannt, aber Zizmo hatte so eine Ahnung, warum es vielleicht geschehen war. Daher leistete er ihm einige Wochen später, wie er es eben konnte, Wiedergutmachung.
»Tu einfach so, als würden wir eine Spazierfahrt unterneh men.«
»Gut.«
»Wenn sie uns anhalten, sag nichts.«
»Gut.«
»Das ist eine bessere Arbeit als im Rouge. Glaub mir. Fünf Dollar am Tag sind gar nichts. Und du kannst so viel Knoblauch essen, wie du willst.«
Sie sind im Packard, fahren an dem Vergnügungsgelände Electric Park vorbei. Es ist neblig, und spät - kurz nach drei Uhr in der Nacht. Um ehrlich zu sein, hatte der Freizeitpark um diese Zeit geschlossen, aber für meine Zwecke hat er heute rund um die Uhr geöffnet, und auf einmal lichtet sich der Nebel, sodass mein Großvater aus dem Fenster sehen und erkennen kann, wie ein Achterbahnwagen die Fahrspur hinabsaust. Ein Augenblick billiger Symbolik, mehr nicht, und schon muss ich mich den strengen Regeln des Realismus beugen, was heißt: Die beiden können rein gar nichts sehen. Frühjahrsnebel wallt über die Zufahrt zu der neu eingeweihten Belle Isle Bridge. Die gelben Kugeln der Straßenlampen glimmen, vom Dunst mit einem Hof versehen.
»Eine Menge Verkehr noch so spät«, wundert sich Lefty.
»Ja«, sagt Zizmo. »Nachts fahren sie gern hierher.«
Die Brücke hebt sie sanft über den Fluss und setzt sie auf der anderen Seite wieder ab. Die Belle Isle, eine pantoffel tierchenförmige Insel im Detroit River, liegt einen guten halben Kilometer vom kanadischen Ufer entfernt. Am Tag ist der Park voller Ausflügler, die hier picknicken. Fischerboote säumen das schlammige Ufer. Kirchengruppen halten Zeltbegegnungen ab. Im Dunkeln dagegen gewinnt die Insel eine Küstenatmosphäre gelockerter Moral. Pärchen parken an verschwiegenen Beobachtungsposten. Autos rollen in zwielichtigen Missionen über die Brücke. Zizmo fährt durch die Düsternis, vorbei an den achteckigen Lauben und dem Denkmal des Bürgerkriegs helden, und weiter in den Wald, in dem einst die Ottawa- Indianer ihr Sommerlager hatten. Nebel wischt über die Windschutzscheibe. Unter einem tintenschwarzen Himmel verlieren Birken Pergament.
Was in den zwanziger Jahren den meisten Autos fehlt: ein Rückspiegel. »Lenk du«, sagt Zizmo unablässig und dreht den Kopf, um herauszufinden, ob sie verfolgt werden. Sich solcherart am Lenkrad abwechselnd, schlängeln sie sich die Central Avenue und The Strand entlang, umkreisen die Insel dreimal, bis Zizmo zufrieden ist. Am nordöstlichen Ende hält er, die Schnauze Richtung
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