Middlesex
Sie baten ihn herein, und er erzählte ihnen seine Geschichte. Er hatte sich auf der Giulia tatsächlich eine Bindehautent zündung geholt. Aber seine Approbation hatte ihn davor bewahrt, nach Griechenland zurückgeschickt zu werden; Amerika brauchte Ärzte. Dr. Philobosian war einen Monat im Krankenhaus auf Ellis Island geblieben, wonach er, mit einer Bürgschaft des Armenischen Hilfswerks, einreisen durfte. Elf Monate hatte er in New York gelebt, in der Lower East Side.
»Da habe ich für einen Optiker Linsen geschliffen.« Vor kurzem war es ihm gelungen, Vermögenswerte aus der Türkei zu retten, und er war in den Mittleren Westen gekommen. »Ich werde hier eine Praxis eröffnen. In New York haben sie schon zu viele Ärzte.«
Er blieb zum Essen. Die anderen Umstände der Frauen entbanden sie nicht von ihren häuslichen Pflichten. Auf angeschwollenen Beinen trugen sie Platten mit Lamm und Reis, Okra in Tomatensoße, griechischem Salat, Reispudding herbei. Anschließend braute Desdemona griechischen Kaffee, servierte ihn in Mokkatässchen, obendrauf der braune Schaum, die lakia. Dr. Philobosian sagte zu den sitzenden Ehemännern:
»Die Chancen stehen hundert zu eins. Sind Sie sicher, dass es in derselben Nacht geschehen ist?«
»Ja«, sagte Sourmelina, die am Tisch rauchte. »Bestimmt war Vollmond.«
»In der Regel dauert es fünf bis sechs Monate, bis eine Frau schwanger wird«, fuhr der Arzt fort. »Dass Sie es beide in derselben Nacht geschafft haben - hundert zu eins!«
»Hundert zu eins?« Zizmo schaute über den Tisch auf Sourmelina, die den Blick senkte.
»Mindestens hundert zu eins«, betonte der Arzt.
»Das verdanken wir dem Minotauros«, witzelte Lefty.
»Kein Wort mehr über dieses Stück«, schimpfte Desdemona.
»Warum siehst du mich so an?«, fragte Lina.
»Darf ich dich nicht ansehen?«, fragte ihr Mann.
Sourmelina seufzte wütend auf und wischte sich mit ihrer Serviette den Mund ab. Peinliche Stille entstand. Dr. Philobosian, der sich noch ein Glas Wein einschenkte, unterbrach das Schweigen.
»Die Geburt ist ein faszinierendes Thema. Missbildungen beispielsweise. Früher glaubte man, Ursache dafür seien Gedanken der Mutter. Das, was die Mutter beim Zeugungsakt gerade sah oder überlegte, würde Auswirkungen auf das Kind haben. In Damaskus kursierte die Geschichte einer Frau, die ein Bild von Johannes dem Täufer überm Bett hängen hatte. Bekleidet mit dem traditionellen härenen Hemd. Im Banne der Leidenschaft blickte die arme Frau zufällig auf diese Darstellung. Neun Monate später wurde ihr Kind geboren pelzig wie ein Bär!« Der Arzt lachte vergnügt und trank einen Schluck Wein.
»Das kann aber doch nicht passieren - oder?«, fragte Desde mona erschrocken.
Aber Dr. Philobosian war nicht zu bremsen. »Es gibt noch eine andere Geschichte von einer Frau, die beim Liebesspiel eine Kröte anfasste. Ihr Kind kam mit Glubschaugen und übersät mit Warzen auf die Welt.«
»Haben Sie das in einem Buch gelesen?« Desdemonas Stimme hatte etwas Schrilles.
»Das meiste steht in Pares Werk Über Monster und Wunder. Auch die Kirche hat sich damit befasst. In seinen Embryologia Sacra empfahl Cangiamilla die intrauterine Taufe. Angenommen, Sie befürchten, Sie könnten ein Ungeheuer als Kind im Bauch haben. Nun, dafür gab es Heilung. Man füllte einfach eine Spritze mit Weihwasser und taufte den Säugling noch vor der Geburt.«
»Keine Sorge, Desdemona«, sagte Lefty, als er ihren besorgten Blick bemerkte. »Heute glauben das die Ärzte nicht mehr.«
»Natürlich nicht«, sagte Dr. Philobosian. »Dieser ganze Unsinn kommt aus dem finsteren Mittelalter. Heute wissen wir, dass die meisten Missbildungen von der Konsanguinität der Eltern herrühren.«
»Von der was?«, fragte Desdemona.
»Wenn innerhalb der Familie geheiratet wird.« Desdemona erbleichte.
»Das verursacht alle möglichen Probleme. Schwachsinn. Hä mophilie. Sehen Sie sich nur die Romanoffs an. Überhaupt jede Königsfamilie. Allesamt Mutanten.«
»Ich weiß nicht mehr, was ich in der Nacht da gedacht habe«, sagte Desdemona später beim Geschirrspülen.
»Aber ich«, sagte Lina. »Die Dritte von rechts. Mit den roten Haaren.«
»Ich hatte die Augen zu.«
»Dann mach dir keine Sorgen.«
Desdemona drehte das Wasser an, um ihre Stimmen zu überdecken. »Und was ist mit der anderen Sache? Der Kon... der Kon...«
»Der Konsanguinität?«
»Ja. Wie weiß man, ob das Kind so was hat?«
»Das weiß man erst, wenn es geboren
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