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Middlesex

Middlesex

Titel: Middlesex Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeffrey Eugenides
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du dich noch an das Stück, das wir gesehen haben? So sind alle Frauen. Wenn man sie lässt, huren sie mit einem Stier.«
    »Das sind doch bloß Geschichten, Jimmy«, sagte Lefty. »Die darfst du nicht so wörtlich nehmen.«
    »Warum?«, fuhr Zizmo fort. »Frauen sind nicht wie wir. Ihr Naturell ist Fleischeslust. Am besten sperrt man sie in ein Labyrinth.«
    »Was meinst du damit?«
    Zizmo lächelte. »Schwangerschaft.«
    Es war ein Labyrinth. Desdemona wälzte sich herum, linke Seite, rechte Seite, um eine bequeme Lage zu finden. Ohne das Bett zu verlassen, durchwanderte sie die dunklen Korridore der Schwangerschaft, stolperte über die Knochen der Frauen, die den Weg vor ihr gegangen waren. Als Erstes ihre Mutter Euphrosyne (der sie nun auf einmal ähnelte), ihre Großmütter, ihre Großtanten und dann all die Frauen vor ihnen, rückwärts in der Zeit bis hin zu Eva, deren Schoß verflucht worden war. Desdemona erlangte ein körperliches Wissen um diese Frauen, teilte deren Schmerzen und Seufzer, deren Furcht und Fürsorglichkeit, deren Empörung, deren Erwartung. Wie sie legte sie sich die Hand auf den Bauch, als Stütze der Welt; sie fühlte sich omnipotent und stolz; und dann krampfte ein Muskel in ihrem Kreuz.
    Ich liefere Ihnen nun die gesamte Schwangerschaft im Zeitraffer. Desdemona ist in der achten Woche, sie liegt auf dem Rücken, die Bettdecke bis unter die Achseln gezogen. Das Licht am Fenster flackert im Wechsel von Tag und Nacht. Ihr Körper zuckt; sieliegt auf der Seite, auf dem Bauch; das Bettzeug wechselt. Eine Wolldecke erscheint und verschwindet. Tabletts mit Essen fliegen auf den Nachttisch, springen, kurz bevor sie schon wiederkommen, fort. Doch inmitten dieses wilden Tanzes unbelebter Dinge ist Desdemonas sich wälzender Körper. Ihre Brüste blähen sich auf. Ihre Brustwarzen werden dunkel. In der vierzehnten Woche wird ihr Gesicht voll, sodass ich zum ersten Mal die jiajia meiner Kindheit erkennen kann. In der zwanzigsten Woche zieht sich eine rätselhafte Linie von ihrem Nabel abwärts. Ihr Bauch wölbt sich wie ein Jiffy Pop. In der dreißigsten Woche wird ihre Haut dünn, ihr Haar dicker. Ihre Gesichtsfarbe, anfangs noch blass von der Übelkeit, wird immer frischer, bis da ist: ein Leuchten. Je dicker sie wird, desto träger ist sie. Sie liegt nicht mehr auf dem Bauch. Bewegungslos schwillt sie auf die Kamera zu. Der Stroboskop-Effekt des Fensters hält an. In der sechsund dreißigsten Woche verpuppt sie sich in Laken. Die Laken wandern hoch und runter, entblößen ihr Gesicht, erschöpft, euphorisch, resigniert, ungeduldig. Ihre Augen öffnen sich. Sie schreit auf.
    Lina machte sich Wadenwickel, damit sie keine Krampfadern bekam. Aus Angst vor Mundgeruch hatte sie eine Dose Pfefferminzbonbons am Bett. Sie wog sich jeden Morgen, biss sich auf die Unterlippe. Sie genoss ihre neue dralle Figur, fürchtete aber die Folgen. »Meine Brüste werden nie mehr wie vorher sein. Das weiß ich. Danach wird alles hängen. Wie im National Geographie.« An der Schwangerschaft störte sie, dass sie zu sehr als Tier empfand. Es war peinlich, so öffentlich kolonisiert zu werden. Bei Hormonschüben war ihr, als stehe ihr Gesicht in Flammen. Sie schwitzte; ihr Make-up verlief. Der gesamte Prozess war ein Überbleibsel aus primitiveren Entwicklungsstadien. Er verband sie mit niederen Lebens formen. Sie dachte an Eier legende Bienenköniginnen. Sie dachte an den Collie von nebenan, der im letzten Frühjahr ein Loch in den Garten gegraben hatte.
    Die einzige Flucht war das Radio. Sie trug die Kopfhörer im Bett, auf dem Sofa, in der Badewanne. Im Sommer nahm sie ihr Aeriola Jr. mit hinaus und setzte sich unter den Kirschbaum. Indem sie ihren Kopf mit Musik füllte, entfloh sie ihrem Körper.
    An einem Oktobermorgen im dritten Vierteljahr hielt ein Taxi vor der Hurlbut Street 3467, dem eine hoch gewachsene, schmale Gestalt entstieg. Der Mann verglich die Hausnummer mit der Adresse auf einem Stück Papier, nahm seine Sachen auf- Schirm und Koffer - und bezahlte den Fahrer. Er lüftete den Hut und blickte hinein, als läse er vom Innenband Anweisungen ab. Dann setzte er den Hut wieder auf und trat auf die Veranda.
    Desdemona und Lina hörten ihn beide klopfen. Sie trafen sich an der Haustür.
    Als sie öffneten, blickte der Mann von Bauch zu Bauch.
    »Da komme ich ja gerade recht«, sagte er.
    Es war Dr. Philobosian. Mit klarem Blick, glatt rasiert, von seinem Kummer erholt. »Ich hatte Ihre Adresse aufgehoben.«

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