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Middlesex

Middlesex

Titel: Middlesex Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeffrey Eugenides
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europäische Volksweise erklingt. Da erscheint auf der Gangway eine einsame Gestalt. In ein balkanesisches Kostüm aus Weste, Pluderhose und hohen Lederstiefeln gekleidet, trägt der Einwanderer seine Habe in einem Bündel an einem Stock. Er schaut sich furchtsam um und steigt dann in den Schmelztiegel hinab.
    »Alles Propaganda«, murmelt Zizmo auf seinem Sitz. Lina macht Pscht.
    Dann steigt SYRIEN in den Tiegel hinab. Dann ITALIEN. POLEN. NORWEGEN. PALÄSTINA. Und schließlich: GRIECHENLAND.
    »Schau, da ist Lefty!«
    Angetan mit bestickter palikari- Weste, puffärmeligem pouka miso und plissiertem foustanella-Hemd, betritt mein Großvater die Gangway. Er bleibt einen Augenblick stehen, um ins Publikum zu blicken, doch die hellen Leuchten blenden ihn. Er kann nicht sehen, dass meine Großmutter den Blick erwidert, vor lauter Geheimnis fast platzt. DEUTSCHLAND tippt ihm auf den Rücken. »Beeilen Sie sich. Entschuldigung. Schneller.«
    In der ersten Reihe nickt Henry Ford beifällig, die Aufführung gefällt ihm. Mrs. Ford will ihm etwas ins Ohr flüstern, doch er winkt ab. Seine blauen Möwenaugen zucken von einem Gesicht zum anderen, als die Englischlehrer auf die Bühne kommen. Sie tragen lange Löffel, die sie in den Kessel stecken. Das Licht wird rot und flackert, während die Lehrer umrühren. Dampf steigt von der Bühne auf.
    In dem Tiegel werfen die Männer, dicht gedrängt, ihr Einwandererkostüm ab, ziehen einen Anzug an. Gliedmaßen werden herausgereckt, Füße treten auf Füße. Lefty sagt:
    »Entschuldigung, verzeihen Sie«, und fühlt sich ganz wie ein Amerikaner, als er seine blaue Wollhose und das Jackett anzieht. In seinem Mund: zweiunddreißig auf amerikanische Art geputzte Zähne. Die Achselhöhlen: großzügig mit amerika nischem Deodorant besprengt. Und nun kommen von oben Löffel herab, Männer werden umgerührt, immer weiter...
    ... während zwei Männer, klein und groß, in den Kulissen stehen, ein Blatt Papier in der Hand...
    ... und meine Großmutter im Publikum ein überwältigtes Gesicht macht...
    ... und der Schmelztiegel überkocht. Rote Lichter gehen an. Das Orchester spielt den »Yankee Doodle«. Einer nach dem anderen erheben sich die Absolventen der Ford English School aus dem Kessel. In blaue und graue Anzüge gekleidet, klettern sie heraus, schwenken zum donnernden Applaus amerikanische Fahnen.
    Der Vorhang war kaum gefallen, als sich die Männer von der Soziologischen Abteilung schon näherten.
    »Ich besteh Abschlussprüfung«, sagte mein Großvater zu ihnen. »Dreiundneunzig Prozent! Und heute eröffne ich Sparkonto.«
    »Das klingt gut«, sagte der größere.
    »Ist aber bedauerlicherweise zu spät«, sagte der kleinere. Er zog einen rosa Zettel aus der Tasche, die Farbe war in Detroit wohl bekannt.
    »Wir haben Erkundigungen über Ihren Vermieter eingezogen. Diesen so genannten Jimmy Zizmo. Er ist vorbestraft.«
    »Ich weiß nichts«, sagte mein Großvater. »Ist bestimmt Fehler. Er ist netter Mann. Arbeitet hart.«
    »Es tut mir Leid, Mr. Stephanides. Aber Sie werden verstehen, dass Mr. Ford Arbeiter mit solchem Umgang nicht beschäftigen kann. Sie brauchen am Montag nicht mehr in die Fabrik zu kommen.«
    Während mein Großvater sich bemühte, diese Nachricht zu verdauen, trat der kleinere auf ihn zu. »Ich hoffe, Sie lernen aus dieser Geschichte. Sich mit den Falschen einzulassen kann einen erledigen. Sie scheinen mir ein netter Kerl zu sein, Mr. Stephanides. Wirklich. Wir wünschen alles Gute für die Zukunft.«
    Ein paar Minuten später kam Lefty heraus, um seine Frau zu begrüßen. Er war verblüfft, als sie ihn vor allen anderen umarmte und nicht mehr loslassen wollte.
    »Hat dir das Festspiel gefallen?«
    »Das ist es nicht.«
    »Was dann?«
    Desdemona sah ihrem Mann in die Augen. Aber es war Sour melina, die alles erklärte. »Deine Frau und ich?«, sagte sie in breitem Englisch. »Wir haben beide was im Bauch.«

MINOTAUREN
    Mit denen ich nie viel zu tun haben werde. Wie die meisten Hermaphroditen, keineswegs aber alle, kann ich keine Kinder zeugen. Das ist einer der Gründe, warum ich nie geheiratet habe. Einer der Gründe, abgesehen von der Scham, warum ich mich entschloss, zum Auswärtigen Dienst zu gehen. Noch nie habe ich an einem Ort bleiben wollen. Kaum hatte ich mein Leben als Mann begonnen, zogen meine Mutter und ich von Michigan weg, und seitdem ziehe ich umher. In ein, zwei Jahren werde ich Berlin verlassen und woandershin versetzt werden. Der Abschied

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