Midkemia Saga 05 - Gefährten des Blutes
Schuld«, hörte er die geflüsterte Antwort.
Borric fragte: »Warum?«
»Ich brauche nur einen Augenblick, Herr.«
Da er keine bösen Folgen für sich erwartete, außer vielleicht einem überheblichen Schlag von einem der Wächter, nickte Borric.
Er ging zu den Wachen und sagte: »He! Wann gibt es etwas zu essen?«
Die beiden Wachen blinzelten ihn verwundert an, dann grunzte der eine Mann. Er stach mit dem stumpfen Ende seines Speers durch die Stäbe des Zauns nach Borric, und der Prinz mußte zur Seite springen, um nicht getroffen zu werden. »Tut mir leid, daß ich gefragt habe.«
Er lachte leise in sich hinein, reckte die Schultern, die von einem groben Hemd bedeckt wurden, welches man ihm gegeben hatte, und widerstand der Versuchung, sich zu kratzen. Der Sonnenbrand war, nachdem man ihn drei Tage lang eingerieben hatte, gut verheilt, nur die sich pellende Haut juckte jetzt unerträglich. Die nächste Sklavenversteigerung war erst in über einer Woche, und er wußte, dann würde er mit dabeisein. Er kam rasch wieder zu Kräften.
Etwas zog ihn am Ärmel; er drehte sich um, und neben ihm stand der kleine Junge. »Was machst du da?«
Der Junge sah ihn fragend an: »Was meint Ihr, Herr?«
»Ich dachte, du hättest versucht, aus dem Pferch zu entkommen«, zischte ihm Borric zu.
Der Junge lachte. »Nein, junger Edler. Ihr habt die Wachen so großzügigerweise abgelenkt, damit ich hereinkommen konnte.«
Borric sah zum Himmel auf. »Zweihundert Gefangene träumen Tag und Nacht davon, einen Weg hier hinaus zu finden, und ausgerechnet ich muß den einzigen Wahnsinnigen treffen, der hier einbrechen will! Warum ich?«
Der Junge folgte Borrics Blick zum Himmel und fragte: »Zu welcher Gottheit sprecht Ihr, mein Lord?«
»Zu allen. Sieh mal, was ist das hier um uns herum?«
Der Junge nahm Borric am Ellbogen und führte ihn in die Mitte des Pferches, wo sie den Wachen am wenigsten verdächtig erscheinen würden. »Es ist eine ganz schön verzwickte Angelegenheit, mein Lord.«
»Und warum sprichst du mich mit ›mein Lord‹ an?«
Der Junge grinste, und Borric betrachtete ihn sich genauer Runde Wangen, von der Sonne rotgebrannt, beherrschten das braune Gesicht. Die Augen hatte der Junge zu schmalen Schlitzen zusammengekniffen, aus denen Heiterkeit sprach und die vermutlich dunkel, wenn nicht sogar schwarz waren. Unter einer Kapuze, die einige Nummern zu groß war, drängte sich fransiges, struppiges Haar hervor.
Der Junge verbeugte sich leicht. »Alle Männer sind im Vergleich zu mir erhaben, so niedrig wie ich stehe, mein Lord, und sie dürfen Achtung erwarten. Selbst diese Schweine von Wachen.«
Borric konnte nicht anders, er mußte den Zwerg anlächeln. »Also dann erzähl mir mal, warum du als einziger unter diesen geistig gesunden Männern auf die Idee kommst, hier in diese elende Gesellschaft einzubrechen?«
Der Junge setzte sich auf den Boden und bedeutete Borric, er solle das gleiche tun. »Ich werde Suli Abul genannt, junger Herr. Mein Handwerk ist die Bettelei. Und ich bin – ich schäme mich, das zugeben zu müssen – von der Bestrafung durch die Drei bedroht. Ihr kennt die Drei?« Borric nickte. »Dann wißt Ihr auch, wie groß ihr Zorn ist und wie weit ihr Arm reicht. Ich habe einen alten Händler gesehen, der in der Mittagssonne ein Schläfchen hielt. Aus seinem zerrissenen Geldbeutel waren einige Münzen herausgefallen. Hätte ich gewartet, bis er aufgewacht wäre, und hätte er sie dann nicht vermißt, dann hätte ich die Münzen einfach nur auf dem Boden gefunden, und niemand hätte etwas Schlechtes von mir gedacht.
Doch ich vertraute den Göttern nicht, daß sie den Mann seinen Verlust nicht merken lassen würden, und deshalb hob ich die Münzen auf, während er noch döste. Doch wie es die Göttin des Schicksals beschloß, mußte er ausgerechnet in diesem Moment aufwachen, und er rief ›Dieb!‹, und alle, die herumstanden, hörten es.
Einer von ihnen erkannte mich und rief meinen Namen, und ich wurde verfolgt. Und jetzt suchen die Drei nach mir, um mich zu bestrafen. Wo könnte ich mich besser verstecken als bei denen, die bereits zur Sklaverei verdammt sind?«
Borric schwieg einen Augenblick, weil ihm darauf keine Antwort einfiel. Er schüttelte verwundert den Kopf und fragte: »Sag mal, was willst du denn machen, wenn wir in neun Tagen verkauft werden?«
Lachend erwiderte der Junge: »Dann, gütiger Lord, werde ich wieder verschwunden sein.«
»Und wohin willst du verschwinden?«
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