Midkemia Saga 06 - Des Königs Freibeuter
eines Clans muß eine Menge Eide ablegen, wenn er sein Amt antritt, doch einer steht über allen bis auf den, den Clan bis in den Tod zu schützen. Und dieser Eid besagt, jede Schlange zu jagen und zu töten. Der Eid wird heute nur noch als Ritual betrachtet, und kein Oberhaupt in den letzten vier Generationen hatte die Ehre.« Er nahm den Schlangentalisman in die Hand. »Bis heute.«
Calis duckte sich hinter einer Hecke, und betrachtete das Gebäude vor sich. Er hatte bereits einige Gebäude durchsucht, und dabei eine Waffenkammer, ein Vorratslager, den Küchentrakt und die Quartiere der Dienstboten entdeckt. Das alles hatte er verlassen vorgefunden, doch offensichtlich waren die Gebäude bis vor kurzem noch benutzt worden. Ein weiterer Küchentrakt wurde ebenfalls noch benutzt, und dort wurde viel Essen vorbereitet, was den Halbelben verdutzte, da das Hauptgebäude fast vollkommen dunkel war. Nur in einem Teil brannten Lichter.
Er war zwei schwarzgekleideten Männern gefolgt, die rote Tücher um den Kopf gebunden hatten. Sie hatten heißen Eintopf in Eimern aus der Küche getragen und waren damit in das große Gebäude gegangen, wo ihnen gleichgekleidete Wachen mit Schwertern und Bogen Einlaß gewährt hatten.
Calis untersuchte die Mauer von seinem Versteck aus. Das Gebäude hatte keine Fenster. Es sah eher aus wie ein großes Lagerhaus. Er sah sich um, ob jemand in der Nähe war, und rannte zur Wand. Mit einem einzigen Sprung landete er auf dem Ziegeldach.
Das Gebäude war ein leeres Viereck, in dem sich ein großer offener Hof befand. Das Dach war schmal, kaum fünf Meter breit, und die roten Ziegel überdachten eine Art Lagerbereich.
Calis duckte sich und spähte in die Dunkelheit. Obwohl er ein Elb war und seine Gefühle beherrschen konnte, war er trotzdem von dem Anblick, der sich ihm jetzt bot, erschüttert. Seine Hand packte den Bogen fester, bis die Knöchel weiß wurden.
Mehr als hundert Gefangene lagen auf Holzpritschen unter freiem Himmel. Obwohl es Frühling war, waren die Nächte noch sehr kalt.
Die Menschen da unten litten offensichtlich darunter, sich immer im Freien aufhalten zu müssen. Sie waren hager und ausgemergelt, und viele schienen krank zu sein. Der Zahl der leeren Pritschen nach war die Hälfte der Verschleppten von der Fernen Küste gestorben.
Doch was Calis so entsetzt hatte, waren die Kreaturen, die um die Gefangenen herumschwärmten. Sie waren groteske Nachbildungen von Menschen. Sie machten Bewegungen und Gesten wie Menschen, bewegten die Lippen, als würden sie sprechen, doch die Stimmen paßten nicht, und meist brachten sie nur unsinnige Silben hervor. Die beiden Männer mit dem Eintopf betraten den Hof und verteilten an jeden Gefangenen eine volle Schüssel.
Calis bewegte sich langsam am Rand des Daches entlang. Er wollte sich soviel wie möglich einprägen, und vielleicht würde er sogar Margaret und Abigail entdecken. Es würde schwierig werden, die Leute zu retten. Es gab zwar nicht viele Wachen, doch das Gelände war riesig, und die meisten Gefangenen sahen aus, als könnten sie nicht selbst gehen, geschweige denn laufen.
Calis umrundete das Gebäude einmal und versuchte sich alles zu merken. Einen Augenblick lang betrachtete er zwei Kreaturen, die neben zwei Gefangenen hockten. Die eine Kreatur strich der anderen über die Haare, und diese versuchte, sich dem zu entziehen. Die Geste sah fast tröstend aus. Und dann wurde es Calis klar: die Kreatur ähnelte einem der Gefangenen! Wieder suchte er den Hof ab, und jetzt entdeckte er, daß es für jeden Gefangenen, der an eine Pritsche gekettet war, eine Kreatur gab, die dem Mann oder der Frau entfernt ähnelte! Calis setzte seinen Gang über das Dach des Gebäudes fort. Er vergewisserte sich noch einmal, daß er sich nicht getäuscht hatte. Als er die Stelle erreichte, an der er heraufgesprungen war, sprang er wieder nach unten, eilte zur der Hecke und duckte sich. Von den beiden Adelsfrauen aus Crydee hatte er kein Zeichen gesehen.
Calis wußte nicht recht, was er tun sollte. Sollte er zu Marcus zurückkehren und ihm alles berichten, oder sollte er seine Suche fortsetzen.
Vorsicht setzte sich gegenüber der Neugier durch; Calis war nicht ungeduldig. Er machte sich auf den Weg zur Außenmauer.
Nakor betrachtete die bewegungslose Gestalt auf dem Stuhl schon einen halben Tag lang fasziniert. Sie hatte sich kein einziges Mal bewegt.
Seit er den Palast betreten hatte, war Nakor ungehindert durch die Gänge und
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