Midkemia Saga 06 - Des Königs Freibeuter
sein?«, damit Nicholas die Frage nicht beantworten mußte.
»Bald«, antwortete Yngya und lächelte.
Nachdem das Geschirr des ersten Gangs abgeräumt war, sagte Nicholas: »Vaslaw, Ihr habt gestern gemeint, ich müßte einiges über Eure Geschichte erfahren.«
Der alte Mann nickte, schlürfte eine Muschel aus und legte sie auf den Teller, den ein Diener abräumte. »Ja«, sagte er. »Wißt Ihr über die Geschichte dieser Stadt Bescheid?«
Nicholas erzählte ihm, was er bisher erfahren hatte, und der alte Mann nickte. »In den Jahrhunderten, nachdem wir uns der Könige entledigt hatten, regierte der Rat der Clanoberhäupter, und es herrschte Frieden in der Stadt. Viele alte Fehden wurden beigelegt, und zwischen den Clans wurde geheiratet. Mit der Zeit wurden wir zu einem richtigen Volk.« Er machte eine Pause und sammelte seine Gedanken. »Wir leben sehr stark nach der Tradition. In unserer eigenen Sprache nennen wir uns Pashandi, was soviel wie ›Volk der Rechtschaffenen‹ bedeutet.«
»Ihr seid mit den Jeshandi verwandt«, merkte Amos an.
»Das bedeutet ›Volk der Freien‹. Aber wir sind beide Shandi, was einfach ›Volk‹ heißt. Wir geben unsere alten Sitten nicht gern auf.
Wir verstehen uns immer noch vor allem anderen als Jäger und Krieger. Ich bin ein reicher Händler, ich besitze Schiffe und viele Flußboote. Zweimal in meinem Leben habe ich Handel mit den Westlanden getrieben, und einmal bin ich bis zum Königreich Pa’jkamaka gekommen. Ich habe jede Stadt an der Vedra besucht, doch im Rat meines Clans zählt dieser Reichtum nichts; nur mein gutes Auge und meine Fähigkeiten mit dem Bogen, meine Pirsch, mein reiterisches Können und meine Stärke mit dem Schwert geben mir das Recht zum Herrschen.«
Sein Sohn betrachtete ihn mit Stolz, und das gleiche taten seine Töchter und sein Schwiegersohn. »Aber nur, weil man der beste Fechter, Bogenschütze oder Reiter ist, ist man noch lange kein weiser Herrscher«, sagte Vaslaw. »Viele Oberhäupter haben im Laufe der Jahre aus Stolz und Ehrgefühl Dummheiten begangen, und viele Male mußten die Clans darunter leiden. Der Rat hatte das letzte Wort in der Stadt, doch innerhalb eines Clans hatte immer der jeweilige Anführer das Sagen.« Er schüttelte den Kopf. »Und dann fingen vor fast dreißig Jahren diese bösen Ereignisse an.«
»Böse Ereignisse?«, fragte Nicholas.
»Aus Rivalitäten wurden Fehden, viel Blut wurde vergossen, und zwischen den Clans herrschte offener Krieg. Es gibt vierzehn Clans der Pashandi, Nicholas. Und auf dem Höhepunkt der Kämpfe hatten sich sechs Clans – Bären, Wölfe, Raben, Löwen, Tiger und Hunde – gegen fünf andere verbündet – Schakale, Pferde, Stiere, Ratten und Adler. Die Elche, Büffel und Dachse hatten versucht, sich aus dem Streit herauszuhalten, doch auch sie wurden schließlich mit hineingezogen.
Dann besetzte ein Söldnerhauptmann namens Valgasha mit seiner Truppe das Haus des Rats. Er erklärte, er würde für die Menschen der Stadt sprechen, die zu keinem Clan gehörten und stellte den Basar und den Hafen unter seinen Schutz. Er tötete jeden Mann aus einem Clan, der sich bewaffnet in dieses Gebiet wagte. Beinahe hätten sich die Clans gegen ihn zusammengeschlossen, doch ehe wir unseren Angriff beginnen konnten, schickte er Kuriere mit der Bitte um Waffenstillstand aus. Es gab ein Treffen, und ich und die anderen Oberhäupter der Clans wurden überzeugt, die Kämpfe einzustellen; er gab sich den Titel Oberherr. Seitdem ist er eine Art Schiedsmann und Friedensstifter zwischen den Clans, obwohl während der Jahre viele Angelegenheiten unerledigt blieben. Und manche Fehden gingen weiter.«
Nicholas sagte: »Ich dachte, er sei der absolute Herrscher dieser Stadt.«
»Das ist er, doch zu jener Zeit erschien das vernünftiger als die ständigen Kämpfe. Und im Frieden konnte der Oberherr seine Stellung in der Stadt festigen. Als erstes machte er seine Söldnertruppe zur Stadtwache, die auf dem Basar und im Hafen patrouillierte und schließlich auch in den Geschäftsvierteln. Als nächstes schuf er ein stehendes Heer. Seine ältesten und treuesten Soldaten bildeten seine persönliche Leibwache, und er baute den Palast der alten Könige wieder auf und nahm ihn für sich in Anspruch. Dann tauchte Dahakon auf.« Vaslaw spuckte den Namen fast aus. »Dieser kaltherzige, mörderische Hund ist dafür verantwortlich, daß die Stadt zu einem Fürstentum mit Valgasha als Prinzen wurde. Er schuf die Roten
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