Midkemia Saga 06 - Des Königs Freibeuter
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Sobald es dunkel war, kletterte Calis über die Mauer des Anwesens. Er beeilte sich und machte sich keine Gedanken darüber, ob er beobachtet wurde. Nachdem die Gefangenen fortgebracht worden waren, fand er es kaum wahrscheinlich, daß die Wachen noch verstärkt worden wären.
Er bog um die Ecke einer langen Hecke und hätte fast eine Wache umgerannt. Doch ehe der Mann noch reagieren konnte, hatte Calis ihn mit einem Handkantenschlag niedergestreckt, bei der Gurgel gepackt und ihm den Kehlkopf eingedrückt. Calis eilte weiter, er hatte keine Zeit, dem Mann beim Sterben zuzusehen.
Zeit war wichtiger als Heimlichkeit. Die Gefangenen waren beim letzten Mal schon in einem erbärmlichen Zustand gewesen, und seit die Doppelgänger fertig waren, gab es für den, der sie hierhergeschleppt hatte, keinen Grund mehr, sie am Leben zu erhalten.
Calis hörte das Knirschen von Stiefeln auf Kies vor sich und duckte sich hinter einem kleinen Gartenhäuschen. Als der Soldat vorbei war, stand Calis auf und packte ihn an Kinn und Nacken.
Ehe der entsetzte Mann auch nur die Hände heben konnte, hatte Calis ihm das Genick gebrochen.
Er rannte weiter. Er erreichte die Mauer des Hofes, in dem die Gefangenen festgehalten wurden, und sprang. Unten sah er die Gefangenen auf den Pritschen liegen. Ihre Wärter und die Kreaturen, aus denen Doppelgänger werden sollten, waren verschwunden.
Calis bemerkte, daß sie zwar ausnahmslos nicht bei Bewußtsein, aber am Leben waren. Er sprang hinunter und näherte sich einem der Gefangenen. Er kniete sich neben den abgemagerten jungen Mann und versuchte, ihn aufzurichten. Der Mann stöhnte leise, wachte jedoch nicht auf.
Der Elb sah auf. Irgend etwas hatte sich verändert, seit er das letzte Mal hier gewesen war. Er ging zur gegenüberliegenden Seite des Vierecks. Dort stand eine lebensgroße Statue, die auf den ersten Blick wie ein Elb, bei näherem Hinsehen jedoch vollkommen anders aussah. Dann sträubten sich Calis die Haare im Nacken und auf den Armen, und Angst durchflutete ihn. Noch nie in seinem Leben hatte er solchen Schrecken verspürt, aber er war auch noch nie einem solchen Wesen begegnet. Die Figur war ein Valheru, ein Abbild jener vor langer Zeit verbannten Herren von Midkemia. Calis mochte nur ein Halbelb sein, doch seine elbische Seite schrie vor Entsetzen auf. Kein Lebender hatte ein solches Wesen je gesehen. Nur sein Vater, Tomas, kannte die Valheru, und das nur weil er ihr Erbe angetreten hatte. Eine Zeit lang war er sowohl Drachenlord als auch Mensch gewesen, und er hatte die Erinnerungen eines Wesens besessen, welches seit Tausenden von Jahren tot war.
Calis umrundete die Statue und untersuchte sie. Es war ein weiblicher Valheru und mit Rüstung und Helm. Auf Schild und Helm war das Schlangenzeichen abgebildet. Also hatten sich Nicholas’ schlimmste Befürchtungen bewahrheitet: die pantathianischen Schlangenpriester steckten hinter allem. Das hier war Alma-Lodaka, jene Valherufrau, die die Pantathianer vor ewigen Zeitaltern geschaffen hatte, den Schlangen Bewußtsein und Verstand gegeben hatte, damit sie ihr dienen sollten. Doch in den Jahrhunderten, seit die Valheru Midkemia verlassen hatten, war aus den Pantathianern ein Kult des Todes geworden, der die verlorene Göttin Alma-Lodaka verehrte. Die Pantathianer glaubten, daß, wenn sie ihre Göttin in diese Welt zurückholten, sie alle sterben und zu Halbgöttern erhoben in ihre Dienste treten würden.
Calis verließ den ummauerten Hof. Er schob eine der Türen auf und betrat zum ersten Mal das viereckige Gebäude. Es war leer, abgesehen von Ketten und verschiedenen Werkzeugen.
Calis eilte los, denn er mußte mit Marcus rasch über den Fluß zu Harry zurückkehren. Er wußte, wenn er den Gefangenen nicht bald Hilfe brachte, würden sie sterben.
Margaret befreite sich aus dem Bettzeug, das sich um Knöchel und Handgelenke gewickelt hatte. Sie versuchte zu schreien, vor Angst genauso wie vor Wut, doch auch ihr Mund war mit dem seidigen Stoff gefüllt. In der Dunkelheit näherte sich ihr eine Gestalt.
»Ah!« brachte sie heraus und saß aufrecht im Bett. Das Bettzeug war schweißgetränkt. Das Zimmer war dunkel. In ihrem Kopf tobte der schlimmste Schmerz, den sie in ihrem jungen Leben je kennengelernt hatte.
Abigail lag in ihrem Bett und stöhnte fragend.
Margaret holte tief Luft und versuchte sich zu beruhigen. Ihr Herz klopfte heftig, und sie fühlte sich, als wäre sie gelaufen. Sie stand auf, ihr war
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