Midkemia Saga 06 - Des Königs Freibeuter
habe, gefällt mir die Aussicht nicht, in die Angelegenheiten der Sterblichen verwickelt zu werden, auch wenn es sich dabei um meine eigenen Verwandten handelt.« Er schüttelte den Kopf, als wäre er verwirrt.
»Aber ich kann auch die nicht im Stich lassen, denen ich Schutz versprochen habe. Ich werde dem Jungen helfen, wenn die Zeit gekommen ist.«
»Gut. Deshalb habe ich seinem Vater gesagt, daß wir hierherkommen müßten.«
»Ihr seid wirklich ein ungewöhnlicher Mann, Nakor der Blaue Reiter.«
Nakor lachte und nickte zustimmend.
Sie gingen zurück ins Speisezimmer, wo Amos gerade zum Vergnügen von Ghuda und Nicholas eine weitere seiner Geschichten beendete. Ryana war verblüfft, nur Harry schien von der Geschichte gar nichts mitbekommen zu haben, da er völlig von der Frau eingenommen war.
Pug ließ Kaffee und Dessertwein kommen, und das Gespräch wandte sich abermals dem Klatsch in Krondor zu. Nach einer Weile begannen die Gäste zu gähnen, ein Zeichen, daß sie sich zurückziehen wollten.
Pug wünschte ihnen eine gute Nacht, bot seine Hand Lady Ryana an und begleitete sie hinaus. Nicholas und seine Gefährten erhoben sich und machte sich auf den Weg in ihre Zimmer.
Nicholas war gerade eingeschlafen, als ihn eine Hand unsanft wachrüttelte. Es war Harry »Was ist?« fragte er verschlafen.
»Du wirst es nicht glauben. Komm schon!«
Nicholas sprang aus dem Bett und folgte Harry in dessen Zimmer am anderen Ende des Gangs. Harry sagte: »Ich habe schon fast geschlafen, da habe ich ein seltsames Geräusch gehört.«
Mit einer Geste bedeutete er Nicholas, er solle mit ans Fenster kommen, und sagte: »Sei leise.«
Nicholas sah aus Harrys Fenster: Lady Ryana stand auf einer etwas entfernten Wiese. Harry sagte: »Sie hat diese seltsamen Geräusche gemacht, als hätte sie gebetet oder gesungen.« Man konnte das goldene Haar, welches im Licht der drei Monde Midkemias glänzte, nicht verwechseln. Nicholas fiel fast die Kinnlade runter. »Sie ist nackt!«
Harry starrte die Frau an. »Vor einem Augenblick hatte sie noch Kleider an, ehrlich!« Jetzt war die Dame tatsächlich nackt und schien in eine Art Trance versunken zu sein. Harry fragte flüsternd: »Was macht sie da?«
Nicholas unterdrückte einen Schauder. Trotz der erstaunlichen Schönheit der Frau auf der Wiese war nichts an ihrer Erscheinung auch nur im entferntesten erotisch. Er fühlte sich unbehaglich. Es war nicht, weil er sie heimlich beobachtete, sondern eher, weil er Gefahr spürte.
Harry meinte: »Ich habe schon Geschichten von Hexen gehört, die sich im Mondlicht mit Geistern paaren.«
Nicholas sagte: »Sieh nur!«
Die Frau wurde von einem goldenen Lichtschein eingehüllt, der bald blendend hell wurde. Die Jungen mußten die Augen bedecken, während das Licht noch an Stärke zunahm. Für einige Augenblicke schien die Nacht zu weichen, dann wurde das Licht blasser. Die Jungen sahen wieder hin. Die Lichterscheinung hatte sich bis zur vielfachen Größe der Frau ausgedehnt. Und wuchs noch. Sie wurde so groß wie ein Haus, dann wie ein Schiff. Schließlich nahm sie Form an. Das Licht verblaßte, und wo Lady Ryana gestanden hatte, breitete nun ein mächtiges Wesen, ein Geschöpf der Legenden, seine Flügel aus. Goldene Schuppen glitzerten im Mondlicht, und ein langer Hals mit silbernern Kamm reckte sich, als das Reptil in den Himmel sah. Dann hob der Drache mit einem Sprung, einem Flügelschlag und einem Feuerstoß ab.
Harry drückte Nicholas’ Arm so heftig, daß ein blauer Fleck zurückbleiben würde, doch keiner der Jungen konnte sich rühren. Als der Drache am Himmel verschwunden war, blickten sich die Jungen an. Beiden rannen die Tränen über die Wangen, sowohl vor Angst als vor Ehrfurcht. Die großen Drachen gab es nicht. Es gab kleinere fliegende Reptilien, die man Drachen nannte, aber das waren eherne Wyverns, die keinen Verstand haben. Und im Westlichen Reich lebte selbst von diesen keiner mehr, aber Gerüchten zufolge gab es sie noch in den westlichen Gebirgen von Kesh. Doch goldene Drachen, die sprechen und Magie wirken konnten, die gab es nicht. Das waren bloße Geschöpfe der Legenden – und dennoch: hier im Mondlicht, vor ihren Augen, hatte sich die Frau, mit der sie gespeist hatten, in das mächtigste Geschöpf von Midkemia verwandelt und war in den Himmel aufgestiegen.
Nicholas konnte die Tränen nicht zurückhalten, so sehr hatte ihn der Anblick bewegt. Harry riß sich schließlich zusammen und sagte: »Sollen wir Amos
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