Midkemia Saga 06 - Des Königs Freibeuter
wecken?«
Nicholas schüttelte den Kopf. »Sag niemandem etwas davon. Verstehst du?«
Harry nickte; der sonst so großtuerische junge Mann wirkte wie ein kleiner, verängstigter Junge. »Nein.«
Nicholas ließ seinen Freund allein und ging in sein Zimmer zurück. Als er dort ankam, wäre fast sein Herz stehengeblieben. Pug saß auf seinem Bett.
»Schließ die Tür.«
Nicholas gehorchte, und Pug sagte: »Ryana kann von dem kargen Essen, das sie mit uns eingenommen hat, nicht leben. Sie wird in den nächsten Stunden jagen.«
Nicholas wurde blaß. Zum ersten Mal spürte er, wie weit entfernt er von Zuhause, vom Schutz seines Vaters und von der Liebe seiner Mutter war. Pug gehörte zwar zur Familie, doch er war auch ein Zauberer mit mächtigen Fähigkeiten, und Nicholas hatte etwas gesehen, was nicht für seine Augen bestimmt gewesen war. »Ich werde nichts verraten«, flüsterte er.
Pug lächelte. »Ich weiß. Setz dich.«
Nicholas setzte sich neben Pug aufs Bett, und sein Cousin fuhr fort. »Gib mir deinen Fuß.«
Nicholas brauchte nicht erst zu fragen, welchen, und er hob sein Bein, so daß Pug den mißgebildeten Fuß untersuchen konnte. Pug betrachtete ihn eine Weile, dann sagte er: »Vor Jahren hat mich dein Vater gefragt, ob ich den Fuß heilen könnte. Hat er dir das erzählt?«
Nicholas schüttelte den Kopf. Er hatte immer noch Angst wegen des Ereignisses, dessen Zeuge er gerade geworden war, und fürchtete, seine Stimme könnte versagen, wenn er sprach.
Pug sah den Jungen an. »Zu dieser Zeit hatte ich bereits von solchen Mißbildungen und den Mitteln, wie man sie berichtigt, gehört.«
Nicholas flüsterte: »Viele haben es versucht.«
»Ich weiß.« Pug stand auf, ging zum Fenster und sah hinaus in die sternenklare Nacht. Er wandte sich wieder an Nicholas. »Ich habe Arutha gesagt, ich könnte es nicht. Doch das war falsch.«
Nicholas frage: »Warum?«
Pug erwiderte: »Weil, egal wie sehr dich dein Vater liebt, Nicholas – und Arutha liebt seine Kinder sehr, auch wenn er es nicht immer zeigen kann –, kein Vater das Recht hat, seine Kinder zu verändern.«
Nicholas sagte: »Ich glaube, ich verstehe nicht recht.« Die Angst verschwand langsam, und der Junge fragte: »Warum wäre es falsch, mich zu heilen.«
»Ich weiß nicht, ob ich es dir begreiflich machen kann, Nicholas.«
Pug setzte sich wieder neben den Jungen. »Jeder von uns hat es selbst in der Hand, sich zu ändern, wenn er sich dazu entscheidet.
Die meisten versuchen es einfach nicht, oft sehen sie noch nicht einmal die Möglichkeit. Nach meinem Verständnis der Magie hätten die Zauber, die man gegen die Mißbildung benutzt hat, deinen Fuß heilen können. Etwas hat die Wirkung der Sprüche jedoch verhindert.«
Nicholas runzelte die Stirn. »Ich verstehe nicht. Willst du sagen, ich hätte die Heilung nicht zugelassen?«
Pug nickte. »So in etwa. Aber es ist nicht ganz so einfach.«
»Ich würde alles darum geben, normal zu sein.«
Pug stand auf. »Wirklich?«
Nicholas schwieg einen Moment lang, dann sagte er: »Ich glaube, ich würde.«
Pug lächelte beruhigend. »Geh schlafen, Nicholas.« Er holte aus einer großen Tasche seiner Robe etwas hervor und legte es auf den Nachttisch. »Dieses Amulett ist ein Geschenk. Es ist so ähnlich wie jenes, welches ich deinem Vater gegeben habe. Solltest du mich brauchen, halt es fest in der rechten Hand, während du es umgehängt hast, und sag meinen Namen dreimal. Ich werde dann kommen.«
Nicholas nahm das Amulett, welches das Zeichen der drei Delphine trug, die er auf den Springbrunnen des Anwesens gesehen hatte. »Warum?«
Pugs Lächeln wurde breiter. »Weil ich dein Cousin bin, und dein Freund. Und in den Tagen, die vor dir liegen, wirst du vielleicht beides brauchen. Und weil du und dein Freund ein Geheimnis bewahren müssen.«
»Lady Ryana.«
»Sie ist noch sehr jung und unerfahren, darum läßt sie sich so sehen. Ihre Art hat in der ersten Zeit ihres Lebens kaum mehr Verstand als ein Tier. Alle zehn Jahre verkriecht sich ein Drache in einer Höhle und streift seine Schuppen ab, unter denen ein neuer Panzer in jeweils einer anderen Farbe zum Vorschein kommt. Nicht wenige kommen während dieser Zeit um, denn wenn sie sich in der Dunkelheit häuten, sind sie hilflos. Nur diejenigen, die schon viele Menschenleben hinter sich gebracht haben, werden zu goldenen Drachen. Wenn sie schließlich denken können, ist das für sie eine beunruhigende Sache. Das plötzliche Bewußtsein
Weitere Kostenlose Bücher