Midkemia Saga 06 - Des Königs Freibeuter
Anthony sagte: »Ich verstehe nicht.«
Nicholas antwortete: »Pug wird meinen Fuß richten.«
Pug sagte: »Nein.«
»Aber ich dachte …«
Pug hielt seine Hand in die Höhe. »Niemand kann deinen Fuß richten, Nicholas.«
Nakor fügte hinzu: »Außer dir selbst.«
Pug nickte. »Wir können nur helfen. Wenn du das wirklich möchtest.«
Nicholas sagte: »Ich verstehe nicht.«
Pug sagte: »Komm mit, dann werde ich es dir erklären.«
Sie betraten die ausgebrannte Eingangshalle und gingen zum Nordturm, wo sie die verkohlte Treppe hochstiegen. Bei der ersten Tür sagte Pug: »Das war früher mein Zimmer, und Meister Kulgan hat über mir gewohnt.«
»Es ist jetzt mein Zimmer … oder war es vielmehr, bis letzte Woche. Ich habe es dem oben vorgezogen, wegen des seltsamen Abzuges« – er zeigte auf ein Loch in der Wand, von dem Metall heruntergeflossen war – »da. Das hat das Zimmer schön warm gehalten.«
Pug nickte. »Ich habe den Abzug bauen lassen.« Er sah sich im Zimmer um und erinnerte sich. Endlich sagte er: »Dann paßt es ja doppelt.« Er winkte Nicholas herein und sagte: »Setz dich am Fenster hin. Zieh deine Stiefel aus.«
Nicholas setzte sich auf den geschwärzten Fußboden und zog die Stiefel aus. Pug setzte sich ihm gegenüber und beachtete den Ruß an Robe und Händen nicht; Nakor und Anthony standen jeweils auf einer Seite neben ihm. Pug sagte: »Nicholas, du mußt etwas über dich lernen, etwas, was du mit vielen Menschen teilst.«
»Was?«
»Die meisten von uns gehen durchs Leben, ohne die Chance zu haben, viel über sich zu lernen. Wir wissen einige der Dinge, die wir mögen, und einige, die wir nicht mögen, wir haben eine Ahnung, was uns glücklich macht, aber wir sterben letztlich eigentlich unwissend.«
Nicholas nickte.
Pug fuhr fort. »Es gibt Gründe dafür, warum Dinge passieren wie dein mißgebildeter Fuß, Gründe, die man oft nicht verstehen kann.«
Nakor sagte: »Vielleicht hast du deinen Fuß nur, damit du in deinem Leben etwas lernen kannst.«
Pug sagte: »Das könnte sein.«
Nicholas fragte: »Was soll ich durch einen mißgebildeten Fuß lernen?«
Pug antwortete: »Viele Dinge: Du lernst Grenzen kennen, Unglück, Bescheidenheit, Stolz.«
Nakor fügte hinzu: »Oder gar nichts.«
Pug sagte: »Dein Vater hat versucht, deinen Fuß heilen zu lassen, als du noch ein Kind warst. Kannst du dich daran erinnern?«
Nicholas schüttelte den Kopf. »Ein wenig, aber nicht richtig. Nur, daß es wehtat.«
Pug legte seine Hände auf die von Nicholas. »Das habe ich mir gedacht.« Mit seinen braunen Augen suchte er Kontakt mit Nicholas’, und seine Stimme klang tröstend. »Du mußt wissen, daß du der einzige bist, der die Kraft hat, deine Makel zu heilen. Weißt du, was Angst ist?«
Nicholas’ Lider wurden schwer. »Ich weiß nicht … Angst?«
»Angst hält uns fest und bindet uns und hindert uns am Wachsen, Nicholas.« Pugs Stimme wurde eindringlich. »Sie tötet jeden Tag ein Stück von uns. Sie läßt uns bei dem verweilen, was wir kennen und hält uns vom Möglichen zurück. Sie ist unser größter Feind. Angst zeigt sich nicht, sie lebt im Verborgenen. Sie läßt uns den sicheren Weg wählen, meistens schieben wir jedoch die Vernunft vor, wenn wir Risiken ausweichen.« Er lächelte bestärkend. »Der tapfere Mann ist nicht derjenige, der keine Angst kennt, sondern der, der das tut, was er muß, obwohl er Angst hat. Um Erfolg zu haben, muß man den völligen Fehlschlag wagen; und das mußt du lernen.«
Nicholas lächelte. »Vater hat mir mal etwas Ähnliches erzählt.«
Seine Worte kamen schleppend, als wäre er betrunken und halb im Schlaf.
»Nicholas, wenn du dir als Kind schon deine Heilung gewünscht hättest, wären die Priester, die Magier und die Heiler erfolgreich gewesen. Doch du hattest vor etwas Angst; und etwas in dir liebt diese Angst und läßt dich an ihr festhalten. Du mußt dieser Angst entgegentreten und sie verscheuchen; du mußt sie umarmen und dich von ihr einnehmen lassen. Nur dann wirst du sie kennenlernen; nur dann wirst du dich heilen können. Willst du das versuchen?«
Nicholas fühlte sich, als könnte er kein Wort herausbringen, also nickte er nur. Seine Augen waren müde, also schloß er sie.
Aus der Ferne hörte er Pug: »Schlafe. Und träume.«
Nicholas befand sich an einem dunklen, warmen Ort. Er wußte, er war in Sicherheit. Dann hörte er in seinem Kopf eine Stimme.
Nicholas?
Ja?
Bist du bereit?
Etwas verwirrte ihn.
Weitere Kostenlose Bücher