Midleifcrisis
nicht einmal eine Turnhallenbank anheben, und das verdrießt den dunkelbärtigen Sportlehrer Herrn Brückner.
Doch Holger, den kennt Herr Brückner noch, den kennt hier in Pinneberg jeder, und als Holger mit Leif an der Hand in der Sporthalle steht und Herrn Brückner die Meinung sagt, sieht Herr Brückner ein, dass ein knapp neun Jahre alter Junge noch nicht so weit springen, schnell laufen oder hart schießen kann wie ein elf oder zwölf Jahre alter Bursche. Herr Brückner korrigiert die Fünf auf eine Vier und Leif lernt früh, dass im Leben eigentlich immer alles Verhandlungssache ist. Später, wenn er groß ist, wird er ebenfalls Basketballstar werden und allen Leuten sagen, was sie tun sollen.
Auch im nächsten Jahr kommt Holger ein paarmal mit, damit Leif im Gymnasium nicht von den Größeren herumgeschubst wird. Die finden nämlich, dass Leif mit seinen vielen Einsen ein kleiner Streber ist, sie lachen über ihn, wenn er im Unterricht vor Eifer mit den Fingern schnippt, weil er so aufgeregt ist, dass er schon wieder eine Antwort weiß. Und sie finden, dass Leif ab und zu auch mal ein paar Tritte braucht.
Besonders Uwe, der dicke, kräftige Uwe mit den fettigen Haaren und den schlechten Noten, mag Leif nicht leiden. Er nennt ihn Lehrerliebling, und er gewöhnt sich an, ihn auf dem Nachhauseweg abzufangen, seinen Ranzen auf einen Baum zu werfen oder ihn über den Zaun hinweg auszukippen. Leif fürchtet sich sehr vor Uwe, und Holger ist zu weit weg, um ihn zu beschützen.
Doch am Wochenende bringt Holger eine von den Figuren mit, an denen er in der Ausbildung Nahkampf übt. Und einen Juniorenbaseballschläger, den Leif zu Anfang kaum halten kann. »Ich kann nicht immer auf dich aufpassen, Kleiner!«, sagt er und zeigt Leif, wie man der Stoffpuppe den Baseballschläger in den Rücken haut, selbst wenn man so dünne Arme hat wie Leif. »Kraft ist Masse mal Beschleunigung«, meint Holger. »Ausholen, rumdrehen, so!« Dann üben sie zielen. »Du musst die Nieren treffen«, erklärt Holger, »das macht den anderen kampfunfähig. Oder den Hals, aber das lass mal lieber. Nieren sind genau richtig. Und falls du mit dem Fuß hoch genug kommst, tut’s auch ein Tritt in die Eier.«
Leif weiß nicht, was er davon halten soll, aber Holger kann alles erklären. »Wenn du nicht davonlaufen kannst, dann kämpfe nach deinen eigenen Regeln, dann hast du wenigstens eine Chance zu gewinnen.«
Die Regeln für Montag lauten so: Leif wird es Uwe zeigen und Holger, der einen Tag Ausgang hat, wird hinter dem nächsten Baum stehen und aufpassen, dass die Sache nicht böse endet. Also steht der kleine Leif zitternd neben seinem Ranzen vor der Schule und wartet auf Uwe. Schreit ihn an: »Los, schmeiß meinen Ranzen übern Zaun, mir doch egal.« Als Uwe sich nach dem Ranzen bückt, spürt Leif etwas völlig Unbekanntes durch seine Adern rauschen, er fühlt sich plötzlich stark und mutig, und er greift nach dem Baseballschläger, der neben ihm am Zaun lehnt. Leif schlägt das Ding so hart in Uwes gebückten Rücken, dass er glaubt, ihm brechen die Handgelenke. Als Uwe den Ranzen fallen lässt und ungläubig in die Knie sinkt, wirft Leif den Baseballschläger weg, nimmt Anlauf und tritt Uwe, so doll er kann, zwischen die Beine. Dann springt er zurück, Holger hat ihm eingeschärft, dies sei Partisanentaktik, immer nur zum Angriff in die Reichweite des stärkeren Gegners kommen, danach Rückzug in die vorbereitete Stellung.
Uwe kippt nach hinten und röchelt. Leif nimmt den Schläger wieder in die Hand, geht vorsichtig zu Uwe und tickt ihm mit dem Baseballschläger gegen den Kopf. »Steh auf und trag meinen Ranzen nach Hause!« Warum er das machen soll, weiß er nicht, aber Holger hat gesagt, dass es gut wäre. Uwe rappelt sich hoch und hält sich die Eier. Leif holt mit dem Baseballschläger aus. Da nimmt Uwe Leifs Ranzen, und das ist die formale Kapitulationserklärung.
Das Rauschen in den Adern ist weg. Leif fühlt sich entsetzlich und schwach, er hat Angst, dass ihm die Knie einknicken. Aber hinter seinem Baum tritt Holger hervor und packt Uwe an der Jacke: »Leg dich nicht noch mal mit meinem Bruder an.«
Uwe stöhnt und Holger droht: »Mit dir wird Leif allein fertig, das siehst du ja. Aber wenn ihm in der Schule ein paar Typen dumm kommen, dann hilfst du ihm. Und wehe, du baust Mist. Dann komme ich und mach dich fertig!«
Doch die Lektion ist noch nicht zu Ende. Zu Hause, auf Holgers Schoß, auf dem Leif verstohlen die
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