Midnight Breed 05 - Gefaehrtin der Schatten-neu-ok-15.11.11
erwartete.
Nikolai
wusste nicht, wie lange er schon hier saß. Lang genug, dass seine Hände sich
von der abgeschnürten Durchblutung taub anfühlten. Lang genug, um zu bemerken,
dass Renata vor einer Weile durch den Raum gegangen war und Mira beschützend
weg von der hässlichen Szene geführt hatte. Er hatte sie unter einer Strähne
seines schweißnassen Haares beobachtet und den Schmerz und die Anspannung in
ihrem Gesicht gesehen, als sie ihm einen unheilvollen Seitenblick zugeworfen
hatte.
Die
Nachwirkungen ihrer übersinnlichen Gabe - das Echo - mussten ihr inzwischen
schwer zu schaffen machen. Niko sagte sich, dass der stechende Schmerz, den er
verspürte, einfach nur ein weiterer Muskel war, der von der Misshandlung
schmerzte; er konnte doch einfach nicht so blöd sein, irgendeine Art von
Mitgefühl für die Qualen dieser Frau zu empfinden. Er konnte doch nicht so
bescheuert sein, dass es ihm wichtig war, was sie über ihn dachte - dass sie
womöglich wirklich dachte, dass er getan hatte, wessen Lex ihn beschuldigte -
aber verdammt, es war ihm wichtig. Und nicht mit Renata reden zu können, frustrierte
ihn so, dass seine physischen Schmerzen und seine Wut nur noch schlimmer wurden.
Auf der
gegenüberliegenden Raumseite untersuchten die vier Wachen seine Waffen und
seine handgefertigten Hohlspitzengeschosse mit Titanbeschichtung, Nikolais
persönliche Erfindung. Sie hatten all seine Sachen auf einem auf Böcken
stehenden Tisch ausgebreitet, weit außerhalb seiner Reichweite. Nikos Handy,
seine Verbindung zum Orden, lag, zerbrochen auf dem Boden. Lex hatte es voller
Genuss unter seinem Stiefelabsatz zermalmt, bevor er Nikolai der Obhut seiner
Wachen übergeben hatte.
Einer der
muskelbepackten Stammesvampire sagte etwas, das die anderen drei zum Lachen
brachte, dann drehte er sich mit Nikos Halbautomatik um und richtete sie auf
ihn. Nikolai bewegte keinen Muskel. Tatsächlich atmete er kaum noch und blickte
durch den angeschwollenen Schlitz seines linken Auges. Er saß völlig
zusammengesunken da, ohne jegliche Körperspannung, ganz so, als wäre er immer
noch bewusstlos und bemerkte nicht, was um ihn herum vorging.
„Was meint
ihr, sollen wir ihn wecken?", witzelte der Wächter mit der Waffe in der
Hand. Er kam auf Niko zustolziert, verlockend nah, wenn man ihm die Arme nicht
so fest auf den Rücken gefesselt hätte. Die Mündung der .9mm senkte sich
langsam an seiner Brust und dann an seinem Bauch vorbei. „Kastrieren wir diesen
mordenden Scheißkerl doch einfach. Pusten ihm die Eier weg, dann kann die
Agentur ihn stückweise abtransportieren."
„Kiril, sei
kein Idiot", warnte ihn einer der anderen. „Lex hat doch gesagt, wir
dürfen ihn nicht anrühren."
„Lex ist
eine Fotze." Ein kaltes Klicken von poliertem schwarzem Stahl ertönte, als
Kiril eine Kugel in die Kammer beförderte. „In zwei Sekunden ist dieser Krieger
hier auch bloß noch eine Fotze."
Nikolai
blieb völlig regungslos, als die Pistole eng gegen seine Leiste gepresst wurde.
Diese Kaltblütigkeit resultierte zum Teil aus ehrlicher Angst - an seinen
besten Teilen war ihm viel gelegen, er hatte nicht vor, sie zu verlieren -,
aber vor allem hatte er begriffen, dass seine Chancen sehr schlecht standen,
diese Situation zu seinen Gunsten zu wenden. Die meisten Nachwirkungen von
Renatas Energiestoß waren inzwischen abgeklungen, aber er konnte sich seiner
körperlichen Stärke nicht sicher sein, solange er sie nicht ausprobiert hatte.
Und wenn er
das jetzt tat und es vergeigte ... nun, er wollte gar nicht daran denken, wie
gut die Chancen standen, mit intakter Männlichkeit hier wegzukommen, wenn er
versuchte, aus seinen Fesseln auszubrechen, aber womöglich nur erreichte, den
schießwütigen Kiril in Rage zu bringen.
Eine harte
Handfläche klatschte ihm seitlich gegen den Schädel. „Bist du wach, Krieger?
Ich hab was für dich. Zeit zum Aufwachen."
Mit
geschlossenen Augen, um ihre Veränderung von blau zu bernsteingelb zu
verbergen, ließ Nikolai seinen Kopf schlaff zur Seite fallen. Aber in seinem
Bauch begann die Wut aufzuflackern. Er musste sie niederkämpfen. Durfte Kiril
und die anderen die Veränderungen seiner Dermaglyphen nicht sehen
lassen, die ihnen signalisieren würden, dass er hellwach, voll bei Sinnen und
mächtig angepisst war. „Aufwachen", knurrte Kiril.
Er wollte
eben Nikos Kinn anheben, als ihn ein Geräusch von außerhalb des Hauses
ablenkte. Kies knirschte unter den Autoreifen näher kommender Fahrzeuge.
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