Midnight Breed 06 - Gesandte des Zwielichts-neu-ok-16.11.11
und das
wird auch ihm nicht gelingen.“
Sie war auf der Hut, sichtlich abgestoßen.
„Welche... anderen?“
„Seine getreuen Bluthunde, die seine Befehle
ausführten, ohne Rücksicht auf unschuldige Menschenleben. Ich habe sie alle
ausgeschaltet, einen nach dem anderen. Ihn nicht, noch nicht. Ihn habe ich mir
bis zum Schluss aufgehoben, damit er weiß, dass ich komme. Ich wollte, dass er
versteht, dass er für seine Taten bezahlen muss.“
Claire schluckte, schüttelte leicht den Kopf.
„Was du letzte Nacht gesagt hast - dass Wilhelm für die Toten in deinem Dunklen
Hafen verantwortlich ist... du irrst dich, Andreas. Du musst dich irren.“
„Was ich sagte, ist die Wahrheit.“
„Es kann nicht sein...“
„Warum nicht?“, fuhr er sie an. „Weil das dann
bedeutet, dass du nicht nur mit einem stadtbekannten Kriminellen zusammen bist,
sondern auch mit einem kaltblütigen Mörder?“
Sie runzelte die schmalen dunklen Augenbrauen,
in einem Ausdruck irgendwo zwischen Mitleid und Verachtung. „Und das sagt
ausgerechnet einer, der selbst mehr als ein Dutzend Tote auf dem Gewissen hat?“
Reichen taumelte zurück, empört von der
Erinnerung. Er wich ein paar Schritte zurück, dann drehte er sich um und
stapfte wütend aus dem Raum. Er wusste nicht, wohin er ging. Es war ihm auch
verdammt egal. Er wusste, dass er das Haus nicht verlassen konnte, solange es
draußen hell war, und momentan fühlte er sich wie in einem Käfig.
Claire folgte ihm langsam, ihre Schritte waren
auf dem polierten Marmorboden der Halle fast geräuschlos. „Andreas, ich weiß,
dass du schrecklich verletzt und verwirrt sein musst nach allem, was du
durchgemacht hast. Wir können uns später darum kümmern. Jetzt brauchst du vor
allem Ruhe und Frieden, bis dein Körper sich von den Verbrennungen erholt hat.
Du brauchst Ruhe...“
„Was ich jetzt brauche, ist Blut“, fauchte er,
fuhr zu ihr herum und starrte sie mit einem harten, bernsteinfarbenen Blick an.
„So, wie du zögerst, mir Roth auszuliefern, schätze ich, du lässt mich auch
nicht von dir trinken.“
Sie wurde blass vor Entsetzen, genau wie er es
beabsichtigt hatte.
Reichen setzte seinen rastlosen Gang durch die
Halle fort und bemerkte die Fotos und gerahmten Kunstwerke an den Wänden.
Mit frisch entfachtem Ärger suchte er nach
Bildern von Claire und Roth, dem liebenden Paar, begierig, der Wut, die immer
noch in seinen Eingeweiden brannte, neue Nahrung zu geben. Es gab nur eine
Handvoll Fotos von ihnen beiden zusammen, oft inmitten einer Gruppe von
Angehörigen des Dunklen Hafens oder der Agentur oder bei diversen
Eröffnungszeremonien auf Abendveranstaltungen.
Claires Lächeln war auf jedem einzelnen Foto
perfekt: freundlich, ohne übermäßig fröhlich zu sein, höflich, ohne zu kühl zu
wirken.
Reichen kannte dieses Lächeln nicht. Es wirkte
so poliert und fragil wie die Glasscheibe, die es bedeckte.
„Wo hat Roth hier sein Büro?“, fragte er und
wandte sich von dieser erstarrten, perfekten Claire ab, um die Frau anzusehen,
die jetzt hinter ihm stand, weit außerhalb seiner Reichweite. „Wenn er hier
Computer hat oder irgendwelche Akten, will ich sie sehen.“
„So was wirst du hier nicht finden“, sagte sie
schlicht. „Wilhelm führt seine Geschäfte vom Dunklen Hafen Hamburg aus und von
einem Büro in der Innenstadt... soviel ich weiß. Über Geschäftliches haben wir
nie geredet.“
Reichen stieß ein Grunzen aus, nicht
überrascht. Er ging schon an einem anderen Raum vorbei, der ans Foyer
angrenzte, und warf einen Blick in ein geschmackvoll möbliertes Wohnzimmer.
Dann kam er an einem kleinen Ballsaal vorbei, der mit seinen Spiegelwänden, dem
polierten Parkettboden und der beigen, eleganten Stuckdecke wie eine luftige
Höhle wirkte. Im hinteren Teil des Raumes stand ein ebenholzschwarzer Flügel,
der sich in all dem polierten Glas, das ihn umgab, vielfach spiegelte.
„Schön zu sehen, dass manche Dinge sich nicht
geändert haben“, murmelte er. Claire sah in den Ballsaal, sie wirkte verwirrt.
„Der Flügel“, sagte er. „Du bist musikalisch begabt, wenn ich mich recht
entsinne.“
Ihr Stirnrunzeln glättete sich etwas, als sie
ihn anstarrte. „Oh, ich... ich habe schon lange nicht mehr gespielt. Ich bin
inzwischen mit anderen, wichtigeren Dingen beschäftigt. Für Musik bleibt mir da
kaum noch Zeit.“
„Kann ich mir vorstellen“, sagte er, sich
bewusst, wie sarkastisch es klang. „Ist von dir noch irgendetwas übrig, an das
ich mich
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