Midnight Breed 06 - Gesandte des Zwielichts-neu-ok-16.11.11
maßstabsgetreuen Modells anzusehen. „Ich dachte an weiche Erdwege mit einer
einfachen, aber einladenden Randbepflanzung.
Vielleicht Vergissmeinnicht?“
„Natürlich. Hört sich gut an.“
„Gut“, sagte Claire und lächelte, als sie sich
die Wege vorstellte. „Vielen Dank, Martina. Sie haben großartige Arbeit
geleistet. Sie haben aus meinen chaotischen Ideen so viel mehr gemacht, als ich
mir je hätte vorstellen können.“
Die Stimme der jungen Stammesgefährtin am
anderen Ende wurde noch eine Spur fröhlicher. „Der Park wird wunderschön werden,
Frau Roth. Man sieht ihm wirklich an, wie viel Zeit und Mühe Sie in Ihre Vision
gesteckt haben.“
Claire nahm das Kompliment, ohne etwas zu
sagen, entgegen, fühlte aber weniger Stolz als Erleichterung. Sie wollte dieses
leere Grundstück in etwas Schönes verwandeln. Sie wollte, dass es perfekt war.
Jede Anpflanzung, jede sorgfältig platzierte Skulptur oder Bank und jeder
Spazierweg sollten einen Ort totalen Friedens schaffen. Einen Ort der Ruhe und
Besinnung, der Geist, Herz und Seele inspirierte. Normalerweise war sie
niemand, der sich leicht begeistern konnte - nun, zumindest seit sehr langer
Zeit nicht mehr - , aber sie musste zugeben, dass dieses Projekt fast zu einer
Obsession für sie geworden war.
„Es muss einfach perfekt werden“, murmelte sie
und blinzelte Tränen fort, die ihr plötzlich in die Augen stiegen. In letzter
Zeit war sie viel zu emotional. Nur gut, dass niemand in der Bibliothek war und
ihre Schwäche mit ansah.
„Machen Sie sich keine Sorgen“, tröstete
Martinas fröhliche Stimme. „Ich bin mir sicher, er wird begeistert sein.“
Claire schluckte überrascht. „W... was?“
„Herr Roth“, erwiderte die junge
Stammesgefährtin.
Ein unbehagliches Schweigen breitete sich
zwischen ihnen aus. „Ich, äh, tut mir leid, wenn ich Ihnen zu nahe getreten
bin. Sie hatten mich doch gebeten, die Pläne für den Park geheim zu halten,
also habe ich wohl angenommen, dass er eine Überraschung für Ihren Mann werden
soll.“
Eine Überraschung für Wilhelm? Claire musste
sich zusammennehmen, um sich nicht anmerken zu lassen, wie sehr diese Idee sie
irritierte. Sie hatte ihren Gefährten schon ein halbes Jahr nicht mehr gesehen.
Er kam nur aufs Land, wenn sein Blut ihn dazu zwang. Mittlerweile graute Claire
vor seinen Besuchen, aber von ihr als seiner Gefährtin wurde erwartet, ihn aus
ihrer Vene zu nähren und dafür sein Blut zu nehmen. Und Wilhelm tat nicht
einmal so, als ginge es ihm mit ihrem kühlen Pflichtarrangement anders. Fast
die gesamten drei Jahrzehnte, die sie nun schon ein Paar waren, hatten sie
diskret getrennt gelebt - er in seinem prächtigen Dunklen Hafen in der Stadt
und sie mit einigen Sicherheitsleuten hier draußen im Landhaus, einige Stunden
vor der Stadt gelegen.
Nein, der kleine Park war nicht als
Überraschung für ihren chronisch abwesenden Gefährten gedacht.
Er würde sogar ziemlich wütend sein, wenn er
herausfand, dass sie dieses Projekt ohne sein Wissen initiiert hatte. Zu ihrem
Glück zeigte Wilhelm Roth schon seit geraumer Zeit kein Interesse mehr daran,
was sie dachte, fühlte oder tat. Er ließ ihr bei ihren diversen wohltätigen und
sozialen Aktivitäten freie Hand; alles, was für ihn zählte, war seine Arbeit
bei der Agentur, besonders in letzter Zeit. Das war seine Obsession, und in
einem stillen Winkel ihres Herzens war Claire sogar froh über ihre Einsamkeit.
Besonders in diesen schwierigen letzten Wochen.
Über den Lautsprecher stieß Martina einen
kleinen Seufzer aus. „Bitte, Frau Roth... entschuldigen Sie, ich wollte Ihnen
wirklich nicht zu nahe treten.“
„Aber gar nicht“, versicherte ihr Claire. Bevor
sie sich eine passende Lüge für Martina zurechtlegen musste, warum es ihr so
wichtig war, diesen Park anzulegen, oder ihre Entfremdung von dem Stammesvampir
erklären musste, wurde laut an die Bibliothekstür geklopft. „Noch einmal vielen
Dank für den wunderbaren Entwurf, Martina. Lassen Sie mich wissen, wenn Sie
noch weitere Fragen haben, bevor wir mit der Umsetzung beginnen.“
„Natürlich. Gute Nacht, Frau Roth.“
Claire beendete das Gespräch, dann trat sie aus
dem Raum.
Sie schloss die Tür hinter sich. Noch wollte
sie ihr geheimes Projekt nicht öffentlich machen und sah keinen Grund, Wilhelms
loyalen Wachhunden Anlass zu Fragen zu geben. Aber als sie sich jetzt allein
einem der Agenten gegenübersah, die abgestellt waren, um sie und das Anwesen zu
schützen,
Weitere Kostenlose Bücher