Midnight Breed 06 - Gesandte des Zwielichts-neu-ok-16.11.11
kommen schon allein
zurecht.“
Claire spürte, wie sein heißer Blick ihr
folgte, so greifbar wie eine Liebkosung, als Danika sie aus der Küche und die
Treppe hinauf in den ersten Stock des Hauses führte.
„Das Bad ist hier“, sagte die hochgewachsene
Blondine und zeigte auf die offene Tür eines Badezimmers auf dem Treppenabsatz.
„Diesen Teil des Hauses benutzt sonst niemand, also fühlt euch bitte ganz wie
zu Hause. Hier am Ende des Flurs ist das Schlafzimmer.“
Claire entschlüpfte ein zufriedener Seufzer,
als sie in den einladenden Raum trat, mit dem Fußboden aus goldfarbenem
Hartholz, den Möbeln aus dunklem Kirschbaumholz und dem breiten Doppelbett,
über dem eine Patchworkdecke lag. Es war lange her, dass sie in einem Raum
gewesen war, der eine so schlichte, heimelige Wärme verströmte.
„Ich habe dir ein Nachthemd rausgelegt, und im
Bad findest du jede Menge Handtücher. Ich weiß nicht, an was du zu Hause
gewöhnt bist, aber ich hoffe, dass du dich hier wohlfühlst.“
„Es ist wunderbar“, antwortete Claire. Langsam
ging sie zu dem massiven Bett hinüber und fuhr mit den Fingern über die
handgefertigte Patchworkdecke, deren seegrüne, graue und cremeweiße Quadrate
ein typisch nordisches Muster aufwiesen. „Dieses Zimmer erinnert mich an das
Haus meiner Familie auf Rhode Island.“
Danika lächelte. „Oh, du bist Amerikanerin?“
Sie ging zu einem hohen Schrank mit polierten Messinggriffen und öffnete ihn.
„Ich dachte schon,
du klingst gar nicht wie eine Deutsche.
Überhaupt kein Akzent.“
„Nein. Ich kam vor vielen Jahren nach Europa.
Übrigens, um Musik zu studieren.“ Claire ging
hinüber und half Danika, ein paar extra Kissen, Bettwäsche und eine
zusammengefaltete Wolldecke aus dem Schrank zu holen.
„Ich schätze, damals war ich noch sehr
idealistisch, so wie viele junge Leute. Ich war hin und her gerissen zwischen
meiner Liebe zum Klavier und meinem Bedürfnis, mit meinem Leben etwas wirklich
Wichtiges anzufangen. Die Welt zu retten, zum Beispiel.“
„Ich bin mir nicht sicher, ob die Welt gerettet
werden kann“, sagte Danika und wandte sich zu ihr um, ihre blauen Augen
blickten ernst. „Wo man auch hinschaut, überall Verdorbenheit und Unglück.
Ständig sterben gute Leute, sogar die, die
einfach nur gute Arbeit machen wollen, damit andere es besser haben.“
Claire nickte. „Meine Eltern waren so. Meine
Mutter hat ihr wohlhabendes Elternhaus in Neuengland verlassen, weil sie helfen
wollte, einem kleinen afrikanischen Land sauberes Wasser und Medikamente zu
bringen. Bei ihrer Arbeit in Afrika traf sie meinen Vater, einen jungen Arzt
aus Simbabwe. Sie haben sich sofort ineinander verliebt, aber für eine weiße
Amerikanerin und einen schwarzen Afrikaner war es damals nicht einfach, zu
heiraten. Als meine Mutter mit mir schwanger wurde, kehrte sie in die Staaten
zurück, bis ich geboren wurde. Mein Vater blieb zurück, um seine Arbeit
fortzusetzen. Er wartete darauf, dass wir zu ihm zurückkamen, um eine Familie
zu werden. Ein paar Monate später brachen in der Region Kämpfe aus.
Meine Mutter konnte nicht ertragen, von ihm
getrennt zu sein, während das Dorf, das sie mit so viel Mühe aufgebaut hatten,
vom Krieg bedroht wurde. Sie ging nach Afrika zurück. Keinen Monat später
beschossen feindliche Rebellen ihr Camp. Sie wurden beide getötet.“
„Oh, Claire.“ Danika zog sie in eine
mitfühlende Umarmung. ..Wie schrecklich für dich und den Rest deiner Familie.
Das tut mir so leid.“
Es war lange her, dass sie über den Verlust
ihrer Eltern nachgedacht hatte - ein Paar, das sie nur von Fotos und aus den
Geschichten ihrer Großmutter in Rhode Island kannte, bei der sie aufgewachsen
war, elternlos und anders als die anderen, und doch ein privilegiertes Kind aus
der High Society von Newport. Inzwischen waren all ihre Verwandten in den
Staaten tot. Das Haus aus in Newport wurde immer noch treuhänderisch für sie
verwaltet, privates Hauspersonal hielt das Grundstück in Ordnung und besorgte
die nötigsten Reparaturen am Haus, aber Claire war seit fast zwei Jahrzehnten
nicht mehr dort gewesen. Sie vermisste es plötzlich, vermisste das Gefühl,
wirklich zu Hause zu sein.
Danika ließ sie nach einem Augenblick wieder
los und versuchte, die Unterhaltung in etwas unbeschwertere Bahnen zu lenken.
„Und, für welches deiner beiden Ziele hast du dich schließlich entschieden?“
„Für keines von beiden“, gab Claire zu. „Nicht
lange nach meiner Ankunft in
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