Midnight Man (02) – Gefährliche Mission
heruntergekommenen Jahrhundertwende-Haus, in dem Alkoholiker herumhingen. Es diente auch als Stundenhotel für die Männer, die verzweifelt genug waren, um fünfzehn Dollar an die beiden betagten Stricherinnen zu zahlen, die immer an der Ecke Lucern und Fünfzehnte standen.
Wenn St. Regis zu erkennen war, dann dämmerte es.
Es war schon Morgen und damit der Tag, an dem sie sich mit Marissa Carson, einer äußerst schwierigen Kundin, befassen musste, und an dem sie, was noch schlimmer war, eine Beziehung mit ihrem neuen Mieter herstellen musste, bei der Sex ausgeschlossen, absolut ausgeschlossen war.
Das war möglich. Ganz sicher.
Sie hatte hart gearbeitet, um Mrs Carsons Wohnräume zu gestalten, während diese Kundin stündlich ihre Meinung geändert hatte. Aber heute würde sie bei Mrs Impossible ruhig bleiben, egal, wie viele Anfälle die verwöhnte reiche Matrone bekommen würde.
Und sie würde John Huntington am »Tag danach« wie eine Erwachsene begegnen und ihre Beziehung auf das Mietverhältnis reduzieren. Den hemmungslosen Sex würde sie aus dem Gedächtnis streichen.
Das würde sie hinbekommen. Bestimmt.
Auf dem Weg ins Bad kam sie wieder am Spiegel vorbei und verzog das Gesicht bei ihrem Anblick. Ihre Haare waren ein wüstes Durcheinander, und sie hatte dunkle Ringe unter den Augen und einen Knutschfleck am Hals. Fön und Rundbürste würden das eine beheben, der Abdeckstift das andere. Aber gegen ihre geschwollenen Lippen war nichts auszurichten. Man würde ihr ansehen, dass sie eine heiße Nacht hinter sich hatte. Zeitlicher und räumlicher Abstand zu John Huntington tat not.
Zuerst mal unter die Dusche und ausführliche Körperpflege. Allerdings würde sie dem Krieger heute irgendwann entgegentreten müssen. Da würde sie starke weibliche Geschütze auffahren müssen.
Eine Stunde später wartete sie in ihrem Büro. Sie hatte sich sorgfältig gekleidet, die passenden Accessoires ausgewählt und Parfüm hinters Ohr getupft. Sie fühlte sich wieder ganz wie sie selbst, wie die kühle, ruhige Suzanne Barron, die gestandene Innenarchitektin, die sich nichts Spannenderes vorstellen konnte, als Karo- und Streifenmuster auszuwählen. Und nicht wie Suzanne Barron, die hemmungslose Sexbombe.
Sie fühlte sich absolut imstande, mit John Huntington fertigzuwerden. Trotzdem lauschte sie an der Tür. Nicht, dass sie versuchte, ihm aus dem Weg zu gehen oder dergleichen, aber acht Uhr erschien ihr ziemlich früh für einen Einzug in neue Geschäftsräume.
Sein alter Firmensitz lag am Pioneer Square, hatte er gesagt. Das war nicht gerade um die Ecke. Wahrscheinlich würde er gegen zehn vor dem Haus ankommen, wenn sie bereits den Termin mit Todd Armstrong hatte, ihrem gelegentlichen Geschäftspartner. Und vorher würde sie sich mit einem neuen Stoffhersteller treffen und sich Stoffmuster ansehen, sodass sie für den Vormittag vermutlich gerettet war. Marissa Carson würde dann den ganzen Nachmittag einnehmen und für eine späte Heimkehr sorgen.
Vielleicht würde sie John erst morgen sehen. Morgen wäre besser. Oh ja. Morgen wäre sie ausgeruht und ausgeglichen und nicht … nicht derartig nervös.
Ja, sie würde erst morgen mit John reden.
Bei dem Gedanken wich die Verspannung aus ihren Schultern. Sie drückte das Ohr an die Tür und horchte auf Geräusche. Eine Minute lang lauschte sie der Stille auf dem Flur, dann zog sie erleichtert seufzend die Tür auf. Und erstarrte.
Gegenüber stand die Tür weit offen, und der große Raum sah aus wie ein Warenlager für elektronische Geräte und Zubehör. Vier große Männer – vier sehr große Männer – liefen mit Umzugskartons auf den Schultern an ihr vorbei. Am Ende der Reihe folgte John Huntington mit einem Computermonitor, einem dieser schicken flachen.
Sie verursachten keinerlei Geräusch. Sie flüsterten nicht mal.
John hatte die Tür gehört und war stehen geblieben. Er verharrte mitten im Schritt und blickte sie ernst an. An seinem Kiefer zuckte ein Muskel.
Ihr Vorsatz, kühl, ruhig und ausgeglichen zu bleiben, wenn sie John Huntington gegenüberträte, brach unter dem Schwall Hitze zusammen, der sie überflutete.
Lieber Gott, bitte lass mich nicht rot werden. Aber für das stille Stoßgebet war es zu spät. Sie fühlte, wie sich die Röte unter der Triebkraft ihres heftig klopfenden Herzens bis zum Dekolleté ausbreitete.
Wie sollte sie nach außen ruhig erscheinen, wenn allein der Anblick dieses Mannes sie derart in Aufregung versetzte?
An
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