Miese Stimmung: Eine Streitschrift gegen positives Denken (German Edition)
mehr Untersucher beschäftigt werden. Inzwischen hat niemand in der Familie mehr Lust, diese vergeblichen Prozeduren durchzuführen. Die familiäre Stimmung wird mieser und mieser. Herr Heimann ist Mitglied einer Krankenkasse, die aber nicht mehr wie in alten Zeiten eine Krankenkasse ist, sondern sich inzwischen einen neuen Namen gegeben hat: Gesundheitskasse. Sie ist also, so die naheliegende Vorstellung, für die Gesundheit und deren Nachweis verantwortlich. Folgerichtig bezieht Herr Heimann auch Ärzte in seine Gesundheitskontrollunternehmungen ein. [41] Ergebnis: Die Ärzte stellen keine Krankheitsbefunde fest. Herr Heimann glaubt ihnen nicht. Er besteht auf weiteren engmaschigen Kontrollen zum Nachweis seiner Gesundheit. Ein Teil der Ärzte ist ihm dabei zu Diensten, ein anderer Teil nicht. [42] Bei Letzteren bemerkt er inzwischen aber, dass die Stimmung, wenn er dort auftaucht, nicht mehr die beste ist. Noch relativ harmlos erscheint ihm das Augenrollen schon bei den ihn empfangenden Sprechstundenhilfen. Deutlicher wurde neulich ein Arzt, der ihn als Hypochonder abqualifizierte. Ein anderer wollte ihn offensichtlich loswerden und als Krankheitsphobiker zum Nervenarzt schicken. Eine gute Idee, dachte sich Herr Heimann: Die Nerven sind eigentlich die ganze Zeit diagnostisch vernachlässigt worden.
Herr Heimann hat in den letzten Jahren nicht nur eine außergewöhnliche Sensibilität für kleinste Veränderungen seines Körpers entwickelt, sondern auch eine außergewöhnliche soziale Sensibilität. Jede Veränderung an einem anderen Menschen, die auf eine Krankheit hindeuten könnte, findet er auch bei sich. Er spürt die Beschwerden, den Schmerz und die entsprechenden Zustände so, als hätte er selbst diese Krankheit.
Erfährt er von einer Krankheit in seiner Umgebung, ist er überzeugt, dass er sie auch hat. Nun stehen wieder hoffnungsgestützte Anstrengungen an, Informationssicherheit zu finden, dass er nicht betroffen ist. [43] Eines Tages fährt, als er sich auf dem Weg zur Arbeit befindet, ein Krankenwagen mit Blaulicht an ihm vorbei. Er kommt zu der Überzeugung, dass in dem Krankenwagen gerade ein Mensch mit einem akuten Herzinfarkt reanimiert wird. Auf der Stelle bricht Herr Heimann zusammen, mit unerträglichen Schmerzen in der Brust, Todesängsten und akuter Atemnot. Hilfreiche Passanten informieren den Notruf. In wenigen Minuten befindet sich Herr Heimann ebenfalls in einem Krankenwagen und wird nun allen Prozeduren, die dem Verdacht auf einen Herzinfarkt angemessen sind, unterzogen.
Angesichts dieser Geschichte könnte man zu dem nicht ganz neuen Schluss kommen: Dann hilft nur noch beten. Aber, die Frage sei erlaubt: Hilft beten wirklich?
3
Wir hoffen uns bankrott
Soviel scheint sicher: Gibt es persönliche, nationale oder globale Finanz-, Wirtschafts- und Schuldenkrisen, drückt das auf die Stimmung:
Am 23. Mai 2008 nimmt Barry Fox, Manager bei Bear Stearns, eine Überdosis Valium. Als das nicht ausreicht, um die gewünschte Wirkung zu erzielen, springt er aus dem Fenster seiner Wohnung im 29. Stock. Das traditionsreiche Investmenthaus war gerade vom Wettbewerber JP Morgan Chase geschluckt worden. Diese Bear-Stearns-Sache, sagte sein Lebensgefährte dem Wall Street Journal , brach ihm das Herz.
Am 25. September 2008 wirft sich der 47-jährige Neuseeländer Kirk Stephenson vor einen Zug. Stephenson war Partner und Mitbegründer des Private-Equity-Hauses Olivant und verdiente 330000 Pfund pro Jahr. Das Finanzhaus, das kurz zuvor Aktien der Schweizer Bank UBS übernommen hatte, verlor während der Finanzkrise 250 Millionen Euro.
Am 17. Dezember 2008 erhängt sich der Däne Christen Schnor in einem Londoner Hotelzimmer. Der 49-Jährige leitete beim Finanzriesen HSBC das Versicherungsgeschäft in Großbritannien, Nahost und der Türkei.
Am 23. Dezember 2008 schneidet sich in New York der 65-jährige Fondsmanager René-Thierry Magon de la Villehuchet die Pulsadern auf. Der von ihm gegründete Investmentfonds Access International Advisors hatte durch den Großbetrüger Bernard Madoff 1,4 Milliarden Dollar verloren.
Am 5. Januar 2009 nimmt sich Adolf Merckle das Leben. Ihm war die Führung seines Wirtschaftsimperiums entglitten, nachdem er sich mit VW-Aktien verspekuliert hatte.
Einen Tag zuvor erschießt sich Steven L. Good, Chef des Unternehmens Sheldon Good & Co, das in großem Stil Immobilien versteigert, in seinem Jaguar in einem Wald bei Chicago. Kurz zuvor hatte er über
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