Miese Stimmung: Eine Streitschrift gegen positives Denken (German Edition)
Investmentbank Lehman Brothers kollabieren lassen. Ein Exempel wird statuiert. Damit wird klar, dass die Krise längst von viel größerer Dimension ist, als man bisher angenommen hat. Der Niedergang größter Institutionen ist möglich geworden. Von nun an werden die Börsen rund um den Globus immer wieder einbrechen und die hoffnungsfrohe und optimistische Fehlkonzeption der Finanzmärkte erbarmungslos offenbaren. Und von diesem Tag an war Alex Widmer nicht mehr der gleiche Mensch. Er verlor viel Geld, seine Bank auch. Aber nicht nur das. Mit seiner Erfahrung, seinen profunden Kenntnissen wusste Widmer damals besser als die meisten, dass alles noch viel schlimmer kommen würde. Das konnte er, der fast 30 Jahre gearbeitet hatte, um sich hohe Glaubwürdigkeit und Respekt zu verschaffen, nicht ertragen.
Aber auch in der Finanzkrise gibt es Akteure im Finanzgeschäft, die ihren Geschäftsprinzipien treu bleiben und auch aus der Krise Kapital schlagen. Gemeint ist damit nicht ein Finanzgebaren, das auch bei Kursverfall profitiert, sondern der justizflüchtige Suizid-Fake. So setzte sich der 38-jährige Finanzberater Marcus Schrenker [56] aus Indiana, gegen den wegen Anlagebetrugs ermittelt wurde, in seine Piper-Turboprop, funkte mitten im Flug SOS, sprang per Fallschirm ab und ließ die Maschine in Florida abstürzen. Am Boden floh er mit einem Motorrad weiter. Die Polizei erwischte ihn aber schließlich auf einem Campingplatz.
Auch der 48-jährige Wall-Street-Betrüger Samuel Israel [57] inszenierte seinen Selbstmord, um einer 20-jährigen Haftstrafe zu entgehen. Der Gründer des Pseudo-Hedgefonds Bayou, der 450 Millionen Dollar unterschlagen hatte, parkte sein Auto auf einer Hängebrücke über dem Hudson River und malte drei Worte in die Schmutzschicht auf der Motorhaube: »Selbstmord ist schmerzlos«. Vier Wochen später stellte er sich der Justiz.
Dass Zusammenbrüche keine positiven Stimulantien sind, ist klar. Doch welche Einstellungen sind Wegbereiter für Krisen oder einen Crash?
Hoffnungsvoll mit Vollgas an die Mauer
Wie erzeugt man einen Zustand, auf den man den sonst für einzelne Patienten reservierten Begriff der Depression anwendet?
Diese Frage lässt sich inzwischen, nach vielen Crasherfahrungen und zahlreichen Finanz- und Wirtschaftskrisen relativ präzise beantworten. Der ökonomische Crash beruht, obwohl oft anderes behauptet wird, nicht auf Charakterschwäche, Dummheit oder krimineller Energie der Akteure – obwohl all dies in der Wirtschaft, wie überall sonst auch, sicher anzutreffen ist. Finanzcrashs und Wirtschaftskrisen sind auch keine notwendigen Ereignisse, die sich ökonomischen Gesetzmäßigkeiten verdanken, obwohl auch das gerne immer wieder behauptet wird.
Der Crash ist die logische Konsequenz bestimmter Ideen, Vorstellungen und Glaubensüberzeugungen: »Die Ideen der Nationalökonomen und der politischen Philosophen, gleichgültig, ob sie nun richtig oder falsch sind, sind von weit größerem Einfluss, als man gemeinhin annimmt. In Wirklichkeit wird die Welt von fast nichts anderem regiert.«(John Maynard Keynes) [58]
Dass Wirtschaft und Finanzen mehr mit Glauben als mit Wissenschaft zu tun haben, zeigen schon die in Wirtschafts- und Finanzdingen geläufigen zentralen Grundbegriffe: Kredit, Gläubiger, Schuld und Schuldner.
Einer der Grundpfeiler des Wirtschaftens, der Kredit, bedeutet ja nichts anderes als Glauben und Hoffnung. Kreditwirtschaft ist nichts anderes als Glaubens- und Hoffnungswirtschaft. Wer einen Kredit gibt und wer einen Kredit nimmt, hofft. Beide glauben, dass in der Zukunft etwas Erhofftes geschieht. Der Kreditgeber hofft, sein Geld wieder zu bekommen und zusätzlich noch den vereinbarten Zins. Der Kreditnehmer hofft, in der Zukunft das geliehene Geld zurückzahlen zu können mitsamt den vereinbarten Zinsen, und er hofft darüber hinaus, mit dem Kredit in der Zwischenzeit Geschäfte zu machen, die ihm zusätzliche Gewinne bescheren.
Glauben, Hoffnung und Spekulation. Spekulation bezeichnet im Alltagsgebrauch, aber auch im Wirtschaftsleben, eine unbewiesene Annahme, eine Hoffnung. Wenn jemand eine Sache oder ein Wertpapier kauft, tut er das, weil er hofft, dass dieses in der Zukunft im Wert steigt, um es dann gewinnbringend zu verkaufen. Die Todsünde dieses spekulativen Hoffnungsglaubens ist das Sparen. Absolut glaubenskonform, ja eine Tugend, ist dagegen das Anhäufen von Schulden. Wer spart, glaubt nicht an eine gewinnbringende Zukunft. Er
Weitere Kostenlose Bücher