Miese Stimmung: Eine Streitschrift gegen positives Denken (German Edition)
hat keine Hoffnung, oder er hat sie aufgegeben. Wer dagegen Schulden macht, ist voller Hoffnung auf eine wunderbare Zukunft, in der er nicht nur seine Schulden tilgen kann, sondern hofft, dass seine Schulden gar keine Schulden sind, sondern gewinnbringende Investitionen.
Besonderer Beliebtheit erfreuten sich in den vergangenen Jahren solche Hoffnungsprodukte [59] , bei denen etwa im kalifornischen Bakersfield einem mexikanischen Erdbeerpflücker ohne englische Sprachkenntnisse mit einem Jahreseinkommen von 14000 Dollar ein Haus im Wert von 724000 Dollar bis auf den letzten Cent finanziert wird. Oder ein südamerikanisches Kindermädchen sechs Stadthäuser im New Yorker Stadtteil Queens besitzt. Nachdem das erste Haus, das sie besaß, im Wert gestiegen war, schlugen ihre Kreditgeber eine Umschuldung vor, bei der sie 250000 Dollar herausziehen konnte, um damit ein zweites Haus zu kaufen, dessen Preis dann auch anzog. Das Spiel wiederholte sich, bis sie sechs Häuser besaß. Allerdings brach dann der Immobilienmarkt zusammen, und sie konnte für keines der Häuser die Hypothekenzinsen zahlen. [60]
Nüchtern betrachtet, kann man solche Hoffnungsgeschäfte nur als irrational bezeichnen. Ist man dagegen im Glauben gefestigt, d.h. voller Hoffnung, sind solche Phänomene und die entsprechenden Entscheidungen rational. Hoffnung erzeugt eine Binnenrationalität der Hoffenden, die man auch Blödheit nennen könnte, und die, je länger die Phase des Überschwangs dauert, zu um so mörderischeren Zusammenbrüchen, Krisen oder den bekannten Crashs führt.
Was genau passiert, wenn mit viel Hoffnung und Optimismus in eine goldene Zukunft spekuliert und mit Vollgas auf den nächsten Crash [61] zugesteuert wird mit dem wiederum altbekannten Katzenjammer und zahlreichen Toten?
Zunächst bringt die Ökonomie und das Wirtschaften Menschen zusammen, als Kreditnehmer und Kreditgeber, als Gläubiger und Schuldner oder ganz einfach, indem sie Handel miteinander treiben. Im notwendig gemeinsamen Tun miteinander denken und fühlen sie dann immer ähnlicher. Es kommt zu einer affektiven Infektion. Die Akteure hoffen sich nach einer gewissen Zeit in einen euphorisch-optimistischen Rausch hinein. Das ursprünglich möglicherweise bescheidene Interesse an Absicherung der Altersversorgung, des Familienunternehmens, der Ausbildung der Kinder … oder an etwas Wohlstand, am Mehr des Vorhandenen, wächst sich zu einem kollektiven Größenwahn des Hoffens aus. Immer wieder werden Erfolge und Gewinne beobachtet oder berichtet. Diese Berichte wirken als Glaubens- und Hoffnungsverstärker. Dabei wäre der Begriff Brandbeschleuniger zutreffender, denn der Prozess nimmt Geschwindigkeit auf: mit Vollgas an die Mauer.
Erfolge, oder allein schon Erfolgsversprechungen, verstärken den Glauben an den Erfolg. Der anschwellende Hoffnungswahn wird zur Erfolgsgewissheit. Preise steigen, weil den Investoren versprochen wird, sie würden noch weiter steigen, und die Versprechungen führen dazu, dass es so geschieht. Es scheint daher, dass es Dummheit oder hoffnungsloser Pessimismus wäre, nicht dabei zu sein. Da die Hoffnung groß ist und immer größer wird, wird auf Pump gekauft. Es werden Schulden gemacht.
Der Hoffnung vom schnellen Reichtum wird Nahrung gegeben, und gleichzeitig wird die Abhängigkeit dieser Hoffnung vom weiteren Aufwärtstrend – beispielsweise bei den US-Immobilienpreisen – systematisch ignoriert.
Was macht denn nun (vielleicht) erfolgreich?
Leistung muss sich wieder lohnen!
Es gibt wenige Sätze, die in den letzten Jahrzehnten eine solche Popularität gewonnen haben und das über scheinbar unterschiedlichste gesellschaftliche Gruppierungen hinweg. Helmut Kohl verwendete ihn im Bundestagswahlkampf 1982, Angela Merkel im Bundestagswahlkampf 2009, die SPD im Landtagswahlkampf in NRW 2009, Kurt Beck, als er noch SPD-Vorsitzender war, Sigmar Gabriel, während er noch SPD-Vorsitzender ist, die FDP und ihr früherer Vorsitzender Guido Westerwelle bei jeder Gelegenheit, der Deutsche Gewerkschaftsbund, wenn es passt. Für die Grünen ist es ihr Motto für ihre Bundesfrauenkonferenz im September 2008, der Siemens-Finanzvorstand Joe Kaeser fordert dies beim wirtschaftlichen Frühstück der Industrie und Handelskammer Berlin und der ehemalige Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI) Hans Olaf Henkel in der Bildzeitung.
Nicht nur ein oft benutzter Satz, sondern auch ein nachdenkenswerter Satz. Er lässt
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