Miese Stimmung: Eine Streitschrift gegen positives Denken (German Edition)
Sie sorgen für einen Umsatz von über 2,08 Milliarden €. [75]
Drogen, Medikamente und Doping sollen helfen, die Angst zu bekämpfen, um sich fit zu machen für Freizeit und Job. Fitter als man ist. Das Angebot an angstlösenden, aggressiv machenden und aufputschenden Substanzen ist groß, um sich in Stimmung, auf Leistung, zum Durchhalten bringen zu lassen: Millionen kommen schon am Tagesbeginn ohne die entsprechenden Mengen an Koffein oder Tee nicht aus dem morgendlichen Blues. Im Büro werden dann je nachdem Stress oder Hemmungen chemisch aus dem Weg geräumt, um das erwartete unverwüstliche und stets noch steigerungsfähige Engagement, genannt Motivation, demonstrieren zu können. Für die nächste Präsentation, aber auch fürs ebenso wichtige Alltagsgeschäft zaubert man sich so das Erfolgsstrahlen ins Gesicht, Festigkeit und Begeisterung in die Stimme und vergisst die Angst. Es wird wieder einmal richtig Speed gegeben. Viele Jobs scheinen von einem chemisch unbehandelten Körper und Geist einfach nicht mehr zu meistern zu sein.
Auf ihren Dealer des Vertrauens verlassen sich meist nur noch Anfänger oder Amateure. Profis, die alles unter Kontrolle haben wollen, verlassen sich eher auf die Empfehlungen der Pharmaindustrie und präparieren sich etwa mit Methylphenidat, besser bekannt unter dem Handelsnamen Ritalin®. Dies ist ein Amphetamin-Verwandter, den Kinder bekommen können, um still zu sitzen, den aber inzwischen auch viele Eltern und kinderlose Erwachsene nehmen, um konzentrierter zu arbeiten. Methylphenidat wird inzwischen in fast 50 Millionen Tagesdosen gereicht, mit einer Steigerungsrate um den Faktor 65 seit 1992. [76]
Das erwünschte Ergebnis scheint das Siegergefühl zu sein, wenn die nagende Angst sich auflöst und man sich der anerkennenden Blicke vergewissern kann, dass man es noch einmal geschafft hat.
Chemische Selbstoptimierungsversuche sind nichts Neues. Sie waren früher jedoch auf unsere Eliten oder Genies beschränkt: Sigmund Freud experimentierte mit Kokain im Selbstversuch, das er von der Firma Merck in Darmstadt bezog. Auch Dichter und Schriftsteller wie Arthur Canon Doyle, Georg Trakl oder Gottfried Benn ließen sich bei ihrer Arbeit vom Kokain unterstützen. Angelo Mariani brachte 1883 ein kokainhaltiges Stärkungsgetränk unter dem Namen »Vin Mariani« auf den Markt. Dankbare Abnehmer fand er in Sarah Bernhardt, Jules Verne, Émile Zola und den Päpsten Leo XIII. und Pius X.
Inzwischen ist das Koksen demokratisiert. Die US-Drogenbehörde schätzt, dass ein Drittel aller 18–25-jährigen US-Amerikaner mindestens einmal Kokain konsumiert haben. Publik wird es jedoch vorwiegend bei denen, die in der Öffentlichkeit stehen, bei den Bekannten, den Prominenten. Die wiederum sind tunlichst auf Geheimhaltung bedacht.
Am eindrücklichsten wird uns das im Sport vorgeführt. Dort wird gedopt, bis der Arzt kommt: Der Leichtathlet Dieter Baumann ist vor Jahren durch geheimnisvolle Zahnpastamanipulatoren hereingelegt worden; der Bobfahrer Lenny Paul berief sich auf eine Spaghetti-Bolognese-Intoxikation; der Radrennfahrer Frank Vandenbroucke gab als Nutzer seiner Epo- und Anabolika-Vorräte seinen asthmatischen Hund an; sein Rennfahrer-Kollege Raimondas Rumas hatte Epos im Tourgepäck, um seine weit entfernte Schwiegermutter von schwerer Krankheit zu heilen, und Schein-Champion Floyd Landis deklarierte einen akuten Hormonschub als natürliche Folge seiner stierhaften Männlichkeit …
Waffe: Geheimdiplomatie
Ignorieren und Geheimhalten heißt die Devise bei der Angstbekämpfung. Ignorieren und Geheimhalten ist aber auch die Devise beim Umgang mit der Angst selbst. Vor sich selbst die Angst zu ignorieren ist schwierig bzw. unmöglich, daher kommt nur Geheimhalten in Frage. Sich nichts anmerken lassen, damit die anderen nichts merken.
Obwohl unter vier Augen jeder sofort zustimmt, dass die Angst eines der größten Probleme in Unternehmen darstellt – und zwar nicht nur die allen verständliche und überall offen kommunizierte Angst vor dem Arbeitsplatzverlust und Einkommenseinbußen, sondern auch die Angst gestandener Führungskräfte vor dem nächsten Tag oder der nächsten Stunde. Aber es ist immer die Angst der anderen. Deshalb wurde auch vor ein paar Jahren ein Seminarangebot des Autors mit dem Titel »Angst im Unternehmen« zwar als hochrelevant bejubelt, die begeisterten Massen blieben jedoch eher fern, und die Teilnehmer, die schließlich an dem Seminar
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