Miese Stimmung: Eine Streitschrift gegen positives Denken (German Edition)
hoffnungsvoll optimistisch ist unser Altenpfleger, als er sich ausrechnet, dass er nur etwas länger als 13 Jahre arbeiten müsste, um auf das Jahresgehalt von Norbert Klusen zu kommen. Klusen ist der Chef seiner Krankenversicherung, die ihn immer wieder mit Beitragserhöhungen beglückt, der Techniker Krankenkasse (TK). Klusens Grundgehalt stieg 2009 um 25000 Euro auf rund 271000 Euro. Ein TK-Sprecher sagte dazu auf Anfrage, das Gehalt von Klusen sei angesichts von Beitragseinnahmen von 18 Milliarden Euro sehr angemessen. [69] Leistung lohnt sich also doch schon wieder!?
Es scheint, dass dort, wo man reichlich entlohnt wird, ob man es verdient hat oder nicht, weder Leistung, noch Input oder Output zählen, sondern einzig und allein die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Klasse, der Managerklasse. Dort sind Belohnte und Belohnende weitgehend unter sich oder identisch. Der Volksmund nennt so etwas »den Bock zum Gärtner machen« oder »den Hund zum Aufseher der Wurst bestellen«.
Jetzt wird auch verständlich, warum der Satz »Leistung muss sich wieder lohnen!« so populär ist. Er reklamiert etwas, was es nicht mehr gibt, aber vielleicht einmal gegeben hat: die Leistungsgesellschaft.
Inzwischen sind wir aber in einer Erfolgsgesellschaft angekommen, in der sich Erfolge weitgehend von Leistungen emanzipiert haben. Erfolg ist nicht mehr sicher durch Leistung zu bekommen. Großer Erfolg schon gar nicht. Wer also immer noch die Hoffnung hat, durch Leistung Erfolg sichern zu können, ist schlecht informiert und wird über kurz oder lang sehr schlechter Stimmung sein.
Bleibt nur die Frage, was denn in einer Erfolggesellschaft wirklich Erfolg bringt …
Schlussbilanz
Die Hoffnung, die gute Stimmung verbreiten soll, hat erhebliche Nebenwirkungen. Hoffnung lässt sich meist nur erzeugen und vor allem aufrechterhalten, wenn man selbst erheblich unter seinem Niveau bleibt. Sich nicht informieren, Informationen ignorieren, dumm bleiben oder sich auch nur dumm stellen strengt an und wird zu einer erheblichen Belastung. Nur ein kleiner Schritt ist es dann dorthin, wo Hoffnung nur noch durch Lügen, Betrug und Schönfärberei gerettet werden kann oder wo es gelingt, Lügen für Wahrheit, Betrug für Ehrlichkeit und Schönfärberei für Realismus zu halten.
Diese vielfältigen Belastungen und Anstrengungen können überfordern und die Lebensqualität erheblich einschränken. Müdigkeit breitet sich aus. Noch mehr: Man wird lebensmüde. Wir haben es also mit einer Situation zu tun, in der die Absicht, positive Stimmung durch Hoffnung zu erzeugen, ganz miese Stimmung zur Folge hat.
Positives, hoffnungsvolles Denken lässt einen im konkreten wie auch im psychologischen Sinne verarmen. Man kann sich dabei selbst abhanden kommen. Auch wenn uns manche Hoffnungspropheten [73] raten, uns von den Negativdenkern, den Defätisten und Hoffnungsverweigerern fernzuhalten, erleichtern solche Ratschläge das Leben kaum und führen auch nicht zu guter Stimmung. Denn diese Trennungskandidaten geben uns, auch wenn sie vielleicht manchmal nerven, die Gelegenheit, uns nicht ganz in unserer hoffnungsverschleierten, schöngefärbten Parallelwelt zu verschanzen. Sie haben Nützliches zu sagen. Sie tragen dadurch nicht unwesentlich zu einem besseren Leben bei.
4
Lob der Angst
Angst gehört sicher zu den Gefühlen, die den meisten Menschen sehr unangenehm sind und die Stimmung massiv beeinträchtigen. Angst hat nicht nur in den Massenmedien eine extrem schlechte Presse. Angst wird diskriminiert und mit ihr auch der Ängstliche. Verständlich daher die vielfältigen Maßnahmen gegen die Angst. Doch der Kampf gegen die Angst hat erhebliche Nebenwirkungen oder, um es militärisch auszudrücken: Es entstehen erhebliche Kollateralschäden. Wie nun wird die Angst bekämpft?
Waffe: Chemie
Für Versicherungen geben die Deutschen heute fast vier Mal so viel aus wie vor 25 Jahren – insgesamt rund 171 Milliarden Euro. Viel Geld, um der Angst vor Unsicherheit den Garaus zu machen.
Es bleibt aber trotzdem noch Geld (und Angst) übrig: Die Deutschen kaufen im Jahr etwa 1 Milliarde Tagesdosen depressionshemmender und angstlösender Medikamente. Doppelt so viele wie vor zehn Jahren. [74]
Angstbekämpfung kostet aber nicht nur Geld, sondern bringt natürlich auch Geld ein: Psychopharmaka liegen mit einem Umsatzanteil von 7,5% ungeschlagen auf Rang 1 der häufigsten verordneten Arzneimittelgruppen für die gesetzlich Krankenversicherten.
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