Miese Stimmung: Eine Streitschrift gegen positives Denken (German Edition)
anleiten, »sein Gehirn bedarfsgerecht zu benutzen« [130] . Der Geschäftserfolg der Ich-AG ist eine Produktionsaufgabe. Allerdings sind der Produzent und das Produkt identisch. Man ist nun gleichzeitig Regisseur, Produzent, Hauptdarsteller und Zuschauer seines eigenen Erfolgsfilms. Man praktiziert ein Joint Venture mit sich selbst.
Das kann Probleme machen: »Würdest du eigentlich mit dir selbst ein Joint Venture gründen? Ein Huhn schlägt einem Schwein ein Joint Venture vor. Das Schwein fragt das Huhn, was sie denn gemeinsam produzieren wollen. Das Huhn antwortet: ham and eggs. Vom Markt beeindruckt, verfällt das Schwein in ein langes Nachdenken. Bis es schließlich einen wichtigen Gedanken fasst: Aber das würde ja bedeuten, dass ich geschlachtet werde, und dir geht es besser als je zuvor! Das Huhn erwidert ungerührt, was meinst du denn, worin der Sinn eines Joint Venture besteht? Du gehst Joint Ventures natürlich nur als Huhn ein, aber wenn du mit dir selbst ein Joint Venture vereinbarst, dann bist du das Schwein … Für das Joint Venture mit dir selbst solltest du ein Managementsystem wählen, welches voraussetzt, dass du dich nicht über jede einzelne operative Maßnahme mit dir einigen musst. Du willst kurze Entscheidungswege und kurze Entscheidungszeiten. Es ist besser, wenn weder du noch du, wenn sich keiner von euch beiden in das operative Geschäft einmischt.« [131]
Was ist zu tun?
Dem Terror des Sollens kann auf verschiedenen Ebenen nachgekommen werden: Äußerlich durch die Optimierung des Körpers, innerlich durch entsprechendes Doping der Leistungsfähigkeit und moralisch durch die Steigerung von guter Laune.
Die funktionierende Kompetenzmaschine, das individuelle Humankapital, muss funktionsfähig gemacht und funktionsfähig erhalten werden, in Fitnessstudios, Kosmetiksalons und Beauty-Farmen, mit Hilfe von Coachinginstituten und Kliniken für plastische Chirurgie. Es bedarf ausdauernder Anstrengung, um nicht im Marktabseits zu verschwinden. Dort, wo der ökonomische Tod zu Hause ist. Schafft man es trotz all dieser Anstrengungen nicht, wird man die Schuld dafür auf sich nehmen müssen. Schließlich hätte man es doch schaffen können mit noch mehr Coaching und Motivationsseminaren und mit der entsprechenden zur Verfügung stehenden Chemie: Wozu gibt es schließlich Botox®, Viagra®, Ritalin® und Antidepressiva? Sie sind die chemischen Heilsversprechungen für Körper, Geist und gute Laune und die Maßnahmen gegen das Scheitern und das Altern.
Sie helfen uns, Überflüssiges, weil unökonomisch, zu unterlassen: das wegzulassen, was für den Erfolg unseres Geschäftsmodells nur hinderlich ist:
Botox® lähmt die Gesichtsmuskulatur und reduziert drastisch die Möglichkeiten menschlicher Mimik. Es erspart dem gelähmten Verbraucher/Produzenten, sorgenvoll die Stirn zu runzeln oder die Mundwinkel verzweifelt und traurig nach unten zu ziehen: »Das sanfte Geheimnis ewiger Jugend … man sieht ausgeruht aus.« [134]
Viagra® reduziert die Möglichkeiten des Rückzugs und der Verweigerung und erspart die Rechtfertigung von beidem vor anderen und vor sich selbst.
Ritalin® lähmt die zu weit gespannte Aufmerksamkeit und reduziert drastisch die Möglichkeiten der Ablenkung. Es erspart uns die Anstrengung, uns für etwas aus der Vielfalt der Möglichkeiten zu entscheiden.
Antidepressiva reduzieren, wenn sie es denn überhaupt tun, was nicht gesichert ist, die Möglichkeiten der Verzweiflung und des Trauerns. Sie entlasten von der Anstrengung, dem Scheitern ins Auge zu schauen oder sich von lieb Gewonnenem zu trennen.
Die technische Sicherstellung der konkurrenzfähigen Ich-AG gibt den Neurotechnologien und dem Hirndoping ihre Rechtfertigung.
Die Chemieindustrie (Ein Bericht)
»Ich bin 48 Jahre alt, Chemieingenieur und Abteilungsleiter eines Chemieunternehmens, in dem ich seit 15 Jahren tätig bin. [135] Meine Abteilung ist für die Qualitätskontrolle verantwortlich. Ich habe 21 Mitarbeiter und drei Teamleiter, denen jeweils 7 Mitarbeiter unterstehen.
Seit Monaten geht es mir schlecht und immer schlechter. Ich schleppe mich oft nur noch widerwillig zur Arbeit. Aber auch meine Freizeit, Feierabend und Wochenende, kann ich kaum genießen. Gelegentlich habe ich schon daran gedacht, mir einen anderen Job zu suchen, in einem anderen Unternehmen, oder an eine freiberufliche Tätigkeit als Berater. Mit meiner Frau will ich darüber nicht sprechen. Sie ist mit der Pflege ihrer
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