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Miese Stimmung: Eine Streitschrift gegen positives Denken (German Edition)

Miese Stimmung: Eine Streitschrift gegen positives Denken (German Edition)

Titel: Miese Stimmung: Eine Streitschrift gegen positives Denken (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arnold Retzer
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kranken Mutter beschäftigt und hart an der Grenze ihrer Belastbarkeit. Sie ist Lehrerin, liebt aber ihren Beruf, so mein Eindruck, schon lange nicht mehr. Unser Sohn studiert Wirtschaftsinformatik und tut sich dabei auch nicht leicht.
    Ich habe meine Rolle bisher immer so verstanden, dass ich der feste Fels in der Brandung bin, eine sichere Bezugsgröße für meine Familie, sowohl psychisch als auch finanziell. Ich war bisher mit dieser Rolle ganz einverstanden. Auch in meiner Abteilung sah ich mich so. Nun hat vor eineinhalb Jahren eine Mitarbeiterbefragung in unserem Unternehmen stattgefunden. Das Ergebnis war, was meine Person betraf, nicht so günstig, wie ich es erwartet hatte. Vor einem halben Jahr dann eine zweite Mitarbeiterbefragung. Diese fiel für mich noch ungünstiger aus. Ich wurde deshalb wiederholt von meinem Bereichsleiter – er ist zehn Jahre jünger als ich – zu Mitarbeitergesprächen vorgeladen. Er hat mich nachdrücklich auf die schlechten Ergebnisse der Mitarbeiterbefragungen hingewiesen: ›Daran müssen Sie arbeiten. Das muss besser werden!‹ In einem halben Jahr soll die nächste Befragung stattfinden. Die Gespräche mit meinem Bereichsleiter sind für mich ein Horror. Ich merke, wie mir die Kontrolle über mich entgleitet. Ich bin nervös, fahrig und habe das Gefühl, ihm und der ganzen Situation schutzlos ausgeliefert zu sein.
    In den Meetings mit meinen Mitarbeitern und meinen Teamleitern passiert Ähnliches, wenn auch nicht so massiv. Dabei mache ich nur meinen Job, und den versuche ich natürlich gut zu machen. In der Qualitätskontrolle bin ich nun mal dafür verantwortlich, Fehler aufzuspüren und zu beseitigen. Wir sind für die Fehler verantwortlich und nicht für das, was in Ordnung ist. Ich habe jeden meiner Mitarbeiter in Verdacht, mich negativ zu beurteilen. Also versuche ich, alles noch besser zu machen und meinen Job noch sorgfältiger zu erledigen. Obwohl das doch unsere Aufgabe ist, habe ich immer mehr den Eindruck, gerade das missfällt meinen Mitarbeitern.
    Ich habe das Gefühl, meine Würde, mein Gesicht und meinen Glauben an mich selbst verloren zu haben, weiß aber nicht, wie ich all das wiederfinden soll. An die nächste Mitarbeiterbefragung darf ich gar nicht denken. Alle diese schlechten Gedanken und miesen Gefühle nehme ich aus dem Büro mit nach Hause. Ich habe seit Monaten nicht mehr durchgeschlafen. Morgens um 4.00 Uhr oder 4.30 Uhr wache ich auf, bin sofort hellwach und grüble darüber nach, wie das noch werden soll, was ich tun kann, um da rauszukommen. Ich komme aber auf keinen grünen Zweig.
    Mit einem meiner Teamleiter habe ich kürzlich ein längeres Gespräch unter vier Augen geführt. Ich habe versucht, deutlich zu machen, was ich von unserer Abteilung und auch von seinem Team erwarte, wo es schlecht läuft und wo es Verbesserungsbedarf gibt. Das Ergebnis: Nach dem Gespräch ging es mir schlechter als vorher. Ich hatte das Gefühl, meine Führungsrolle wird nicht mehr akzeptiert, obwohl ich versucht habe, unsere Aufgaben nochmals klar und deutlich darzustellen. Ich weiß nicht mehr, wie ich um Akzeptanz kämpfen kann.
    Ich habe schon vor Monaten meinen Hausarzt wegen der Schlafprobleme aufgesucht. Von meiner Situation im Unternehmen habe ich nichts erzählt. Er würde das ohnehin nicht verstehen, ich würde nur blöd dastehen. Er meinte, ich hätte alle Anzeichen einer Depression und verschrieb mir ein Antidepressivum, das ich nun schon über viele Wochen einnehme.
    Ich habe das Gefühl, dass ich die Situation am Arbeitsplatz inzwischen etwas besser aushalte. Ich bin nicht mehr so dünnhäutig, irgendwie nicht ganz anwesend bei Meetings und Besprechungen. Meine Würde, so mein Eindruck, habe ich immer noch nicht wieder gefunden, aber es macht mir etwas weniger aus. Meine Gedanken an einen Jobwechsel habe ich aufgegeben. Ich versuche hier durchzuhalten und hoffe, dass alles wieder so wird, wie es war.«

Neurodoping: Was wird angeboten?
    Es lassen sich zwei Hauptgruppen [151]   unterscheiden: Leistungssteigernde und stimmungsaufhellende Medikamente.
    Zu den Substanzen, von denen Leistungssteigerung erwartet wird, gehören vor allem Amphetamine, chemische Substanzen, die mit Amphetaminen verwandt sind oder amphetaminähnliche Wirkungen haben. Die beiden bekanntesten und am häufigsten eingesetzten Mittel sind:
Methylphenidat (Ritalin ® ) : Methylphenidat wurde schon 1944 von Leandro Panizzo synthetisch hergestellt und 1954 unter dem Namen

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