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Miese Stimmung: Eine Streitschrift gegen positives Denken (German Edition)

Miese Stimmung: Eine Streitschrift gegen positives Denken (German Edition)

Titel: Miese Stimmung: Eine Streitschrift gegen positives Denken (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arnold Retzer
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fundamentalistischen Fernsehprediger der USA, verkündete: Das Erdbeben in Haiti 2010 habe sich ereignet, weil die Bevölkerung Haitis (d.h. die schwarzen Sklaven) Ende des 18. Jahrhunderts einen Pakt mit dem Teufel geschlossen hätten, um die französischen Kolonialherren zu verjagen. Deswegen seien sie mit einem Fluch beladen, für den die Nachkommen zu büßen hätten. Er empfiehlt: beten! Schon 2005 hatte er den Hurrikan Katrina als Strafe Gottes erkannt. Robertson ist ein einflussreicher konservativer Fernsehprediger in den Vereinigten Staaten und Gründer der fundamentalistischen Christian Coalition of America sowie Präsident der Regent University. Der Glaube dient hier vermutlich sehr profanen Zielen und Zwecken, sprich politischen Absichten. So mutmaßt etwa Rush Limbaugh, einer der prominenten rechten und rassistischen Radiomoderatoren der USA, Gott habe dafür gesorgt, dass der Vulkan Eyjafjallajökull ausgebrochen sei, Aschewolken gespien und den europäischen Flugverkehr lahmgelegt habe, um seine Verärgerung über Obamas Gesundheitsreform zum Ausdruck zu bringen.

Was stattdessen?
    Traumata und Katastrophen sind nicht zu vermeiden. Es gibt keinen unfehlbaren Katastrophenschutz und keine sichere Traumaprophylaxe. Es kann also lediglich darum gehen, was man aus dieser Tatsache macht. Die Katastrophe von Tschernobyl wurde leider nicht genutzt, den Glauben an die Beherrschung der Atomenergie durch Technik und Wissenschaft in Frage zu stellen. Die neuerliche Traumatisierung durch Fukushima stellt eine neue Chance zum posttraumatischen Wachstum dar; ob sie genutzt wird, bleibt abzuwarten. Die Chance bestünde darin, zunächst einmal zu konstatieren, dass die alten Vorstellungen nicht mehr funktionieren. Erst auf dieser Basis können sich neue Einsichten und Verhaltensweisen entwickeln.
    Je konsequenter aber am Glaubenssystem der Wissensgesellschaft festgehalten wird, umso größer wird die Enttäuschungssensibilität. Das verschlechtert die Stimmung. Risikominimierungsanstrengungen vergrößern die Unsicherheit. Die Stimmung trübt sich weiter ein.
    Die Tugend, die in einem neuen Glaubenssystem Platz finden müsste, wäre die Tugend der resignativen Reife . Die Einsicht, dass Handlungen und Entscheidungen nicht auf der Grundlage wissenschaftlicher Gewissheit vollzogen werden, sondern auf der Grundlage ihrer Abwesenheit. Und zum posttraumatischen Wachstum könnte nicht zuletzt der Gedanke beitragen, dass wir mit unlösbaren Problemen leben müssen. Diese Einsicht, hätten wir sie erst einmal akzeptiert, könnte unserer Stimmung guttun und uns Entspannung verschaffen.

8
    Hirndoping: Stimmt die Chemie, stimmt auch die Stimmung!
    Die Biochemie-Prüfung (Ein Bericht)
    »Ich bin 23 Jahre alt und studiere im vierten Semester Medizin. [124]   Vor sechs Jahren war ich als Austauschschüler in den USA, in Philadelphia. Mein Gastbruder hatte Pillen besorgt, die wir dann gemeinsam nahmen. Wir zogen anschließend die ganze Nacht durch die Stadt, besprühten Wände und alte Güterzüge mit Graffiti. Es war toll. Als ich dann schließlich im Bett lag, konnte ich nicht schlafen. Mein Herz schlug mir bis zum Hals und schnell und immer schneller. Meine Augen konnte ich weder zumachen noch ruhig halten. Mir war fürchterlich heiß. Ich war schweißgebadet. So was wollte ich nicht noch einmal erleben. Ich schwor mir: Um die Pille, es war Ritalin® [125]   , werde ich in Zukunft einen großen Bogen machen.
    Jetzt denke ich aber wieder öfter an Ritalin ® . Die Wiederholungsklausur in Biochemie kommt immer näher. In der ersten Klausur habe ich die erforderlichen 60% richtig angekreuzter Antworten knapp verfehlt. Nun sitze ich zu Hause in meiner Wohngemeinschaft oder in der Bibliothek und lese und lese. Es dauert nicht lange und mich überkommt Müdigkeit. Ich lese weiter. Aber nach einigen Seiten merke ich, dass die Wörter keinen Sinn machen. Es ist so, als würde ich vorlesen, ohne mir selbst zuzuhören. Dabei bin ich keineswegs untätig, im Gegenteil: Ich schaue aus dem Fenster, sehe andere Studenten, die auf der Wiese vor der Bibliothek in der Sonne liegen und mit ihrem neuen iPad beschäftigt sind. Ich frage mich, ob ein iPad vielleicht eine Alternative zu meinem Laptop sein könnte und erinnere mich daran, dass ich zu Hause unbedingt eine Sicherungskopie auf meiner externen Festplatte machen müsste. Ich erinnere mich auch, dass neben meinem Laptop die Kaffeetasse steht, die ich heute Morgen nur halb ausgetrunken

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