Miese Stimmung: Eine Streitschrift gegen positives Denken (German Edition)
mangelhaft, dass sich die Raumtemperatur »beim besten Willen« nicht steigern lässt. Nun hat die Heizung ein weiteres Problem. Die Heizung kann sich nämlich bei der Problemlösung überfordern – sie geht kaputt! Nun sind die Lösungsanstrengungen zum Problem geworden. Wenn wir nun wieder auf die Menschen und deren Leben zurückkommen, können wir uns die Frage stellen: Wie setzen Menschen ihre Existenz aufs Spiel bei ihren Versuchen, ihre Lebensprobleme zu lösen, und wie viele Biographien scheitern daran?
Es gibt aber im Leben und in unserem Gedankenexperiment eine zweite Möglichkeit: Der Soll-Wert wird an den Ist-Wert angeglichen. Der Soll-Wert am Thermostat wird von 20 Grad Celsius auf 15 Grad Celsius umgestellt. Die Problemlösung wird in diesem Fall durch eine Einstellungsänderung erreicht. Das heißt, der Verzicht auf die Lösung des Problems ist die Lösung. Dieser Verzicht kann die Vermeidung einer möglicherweise existentiellen Gefährdung bedeuten.
Es gibt also zwei prinzipielle Möglichkeiten, Probleme zu lösen. Die übliche Lösungsstrategie: Ist-Zustände auf Soll-Zustandsniveau zu bringen, und die zweite, weniger verbreitete Lösungsstrategie: den Soll-Zustand auf Ist-Zustandsniveau herunterzuschrauben.
Beide Strategien setzen voraus, dass zuvor eine Sachlage in der beschriebenen Weise definiert wurde.
Lösbare und unlösbare Probleme
Ein Problem ist nur ein Problem, wenn es auch lösbar ist. Ein unlösbares Problem ist dagegen eine Restriktion, eine Tatsache, die einem nicht gefallen mag, die also negativ bewertet wird, die aber nicht für veränderbar gehalten wird: ein unlösbares Problem.
Warum diese Unterscheidung? Dazu ein weiteres Gedankenexperiment: Mitteleuropäern mag das Wetter zu vielen Zeiten des Jahres nicht gefallen. Wenn wir nun das Wetter, etwa das Regenwetter in einem stabilen novemberlichen Tiefdruckgebiet, zum Problem (wenn vielleicht auch nur einem saisonalen) erklären, dann werden wir uns um Lösungen bemühen. Wie können wir den gewünschten Soll-Wert – sonniges, stabiles Hochdruckwetter – herstellen? Nun: Wir könnten Sonnentänze veranstalten, Stoßgebete an Sonnengötter richten, Tier- oder Menschenopfer zur Versöhnung der Regengötter darbringen oder nachhaltige Maßnahmen zur weiteren Steigerung des Treibhausklimas ergreifen. Man würde wohl in den meisten Fällen feststellen, dass die dabei erzielten Ergebnisse nicht überzeugen. Man kann sich aber auch entschließen, das Wetter als eine Restriktion zu werten. Das heißt nicht, dass wir uns nun als arme verzweifelte Wetteropfer sehen müssen, die hilflos den unbeeinflussbaren Wetterlagen ausgeliefert sind. Im Gegenteil. Wir gewinnen Energie und Zeit, indem wir uns Tänze, Gebete, Opfer ersparen, und wir gewinnen neue Möglichkeiten: Man kann sich angemessene Regenkleidung besorgen, vielleicht sogar einen Schirm, sich nach einem Flug in sonnigere Gefilde umtun …
Die Unterscheidung zwischen Problemen und Restriktionen kann ein erster Schritt sein, um weiterzukommen. Im Falle von Restriktionen werden Veränderung, bessere Stimmung und eine Verbesserung der eigenen Lebensqualität durch den Verzicht auf Lösungen möglich.
Depressive Soll-Werte
Einigkeit: Wir werden niemals auseinandergehen!
Uneinigkeit, Unterschiede und Konflikt sind Unwerte. Einigkeit dagegen ist ein höchst angesehener Wert. Aber leider lässt er sich nur mit erheblicher Anstrengung realisieren. Alles, was die Harmonie gefährdet, ist zu vermeiden oder im Keim zu ersticken, schließlich könnte daraus ein Flächenbrand werden und – zum Beispiel in einer Partnerschaft oder Ehe – zur befürchteten Trennung führen. Gefährlich sind vor allem die bösen egoistischen Eigeninteressen, die sich immer wieder bemerkbar machen. Der Feind befindet sich also im eigenen Inneren. Die gefährlichen Gedanken, Gefühle oder gar Handlungsimpulse müssen erkannt, bekämpft und ausgemerzt werden. Anstrengende Überwachungs- und Verfolgungsmaßnahmen sind notwendig. Lassen sich die egoistischen Gedanken und Gefühle doch wieder einmal blicken, stellen sich Schuldgefühle ein. Und doch gelingt es auf Dauer einfach nicht, diese Terroristenzellen auszuräuchern.
Erschwerend kommt hinzu, dass man sich von all den inneren Kämpfen nichts anmerken lassen darf. Denn auch das würde das Ziel der Einigkeit gefährden. Deshalb kann es nach einer Zeit des anstrengenden und erschöpfenden Kampfes gegen die aufrührerischen Impulse im Innern sinnvoll
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