Mieses Karma
konnte
nichts dagegen tun. Und jede Sekunde, die ich in Lillys gerötete Augen blickte, machte es noch schlimmer.
|64| Ich konnte es nicht mehr länger ertragen und wandte meinen Blick ab, er blieb am Tisch hängen. Mir fiel auf, dass noch eine
Person fehlte.
War es vielleicht Daniel Kohn?
Nein, den hatte Alex garantiert nicht eingeladen.
War es mein Vater? Nicht sonderlich wahrscheinlich. Ich wusste nicht einmal, wo er lebte. Ich hatte das letzte Mal eine Karte
von ihm bekommen, als David Hasselhoff noch ein Sexsymbol war.
«Mann, hab ich gebraucht, um einen Parkplatz zu finden», sagte eine mir allzu bekannte Stimme. Nina! Was machte die denn bei
meinem Leichenschmaus?
Ihre Frisur war flott, ihr Body aerobicgestählt, und sie trug ein geschmackvolles schwarzes Kleid, das eng am Körper anlag
und Männern damit sagen wollte: «Bekomm bei meinem Anblick ruhig erotische Phantasien.»
Auch wenn sie sich immer noch so aufreizend kleidete wie als Teenager, tat sie das inzwischen mit mehr Stil. Früher waren
wir stets im Partnerlook unterwegs gewesen: Wir trugen Ausschnitte, bei denen für unsere Busen stets Fluchtgefahr herrschte,
und wir benutzten so viel Haarspray, dass man besser nicht in der Nähe unserer Köpfe ein Feuerzeug anzündete.
Nina und ich waren Außenseiter unter all den Spießern an der Schule und genossen diesen Status. Beide kamen wir aus kaputten
Familien. Beide wollten wir uns nicht die Butter vom Brot nehmen lassen. Beide wollten wir die Welt erobern. Ich schaffte
es im Fernsehen. Und Nina … na ja, sie schaffte es nicht wirklich. Sie machte schließlich eine Ausbildung zur Reiseverkehrsfachfrau.
Auch in der Liebe lief es für sie nicht so gut. Ihre Bilanz belief sich auf eine Abtreibung und eine Serie von Beziehungen,
von denen keine länger als drei Monate hielt. Als wir |65| noch die dicksten Freundinnen waren, hatte ich sie einmal gefragt, ob sie das nicht unglücklich macht. Aber sie sagte nur
schulterzuckend, dass der richtige Mann für sie noch nicht geboren wurde: «Zeig mir einen intelligenten, gutaussehenden und
anständigen Mann, und ich zeig dir das achte Weltwunder.»
Damals ahnte ich ja noch nicht, dass Alex für sie das achte Weltwunder war.
Und dann kam der Abend, an dem meine Freundschaft mit Nina zerbrach: Wir waren Mitte zwanzig, Lilly war noch nicht auf der
Welt, und ich arbeitete wie eine Verrückte in meiner ersten Stelle im Radiosender. Entsprechend selten war ich in der Berliner
Altbauwohnung, die Alex und ich damals bewohnten. Als ich eines Tages wegen einer Magen-Darm-Grippe früher als erwartet von
der Arbeit nach Hause kam, hörte ich aus dem Wohnzimmer Gelächter. Alex und Nina hatten Spaß.
Das war okay.
Ich ging den Flur entlang: Sie gackerten nun richtig laut.
Das war auch okay.
Ich kam ins Wohnzimmer und sah, dass sie nur Unterwäsche anhatten.
Das war ganz und gar nicht okay.
Ich versuchte, keine Szene zu machen. Ich wollte cool bleiben. Ich atmete durch, setzte zum Reden an und … übergab mich auf Ninas Füße.
Nicht sonderlich cool.
Und während Nina schnell nach Hause floh, um zu duschen, versuchte Alex, sich mit tränenerstickter Stimme zu erklären: Er
hatte nicht mit Nina geschlafen, überhaupt war es das erste Mal, dass er sie geküsst hatte. Er hatte eine riesige Krise in
seinem Biochemie-Studium, hatte einige |66| Klausuren versemmelt und keine Ahnung, wie er überhaupt noch den Abschluss schaffen sollte. Dazu kam das Gefühl, dass ich
mich nicht dafür interessierte, denn ich war ja ständig arbeiten und ständig müde, man konnte mich ja kaum ansprechen, und
er wollte mich ja auch nicht belasten, aber Nina hatte ein offenes Ohr für ihn, sie hörte ihm zu, gab ihm Ratschläge, tröstete
ihn, baute ihn auf. So kam eins zum anderen, und es wäre vielleicht nicht eins zum anderen gekommen, wenn ich etwas offener
gewesen wäre und nicht so sehr von meiner Arbeit absorbiert, und, und, und …
Mir war das alles völlig egal. Ich war so unglaublich verletzt! Und ich gab ihm – ebenfalls mit tränenerstickter Stimme –
genau zehn Sekunden, sich zu entscheiden: Nina oder ich.
Er brauchte die vollen zehn Sekunden.
Dann entschied er sich für mich.
Und ich sah Nina nie wieder.
Ich hoffte, dass sie sich den Geruch von den Zehen nie wieder abduschen konnte.
Das Letzte, was ich hörte, war, dass sie einen Job in Hamburg angenommen hatte.
Aber nun war sie wieder da.
Und mein
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