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Mieses Karma

Titel: Mieses Karma Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Safier
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Ameisenalarmsinn begann erneut zu klingeln.
     
    «Wer möchte Kaffee?», fragte Alex, und alle meldeten sich, selbst Martha, die dankenswerterweise in Lillys Gegenwart so viel
     Anstand besaß, nicht nach einer hochprozentigen Sorte von Getränk zu verlangen.
    «Ich helf dir», sagte Nina zu Alex. Dabei lächelte sie ihn an. Es war eines jener Lächeln, die ganz unverbindlich daherkommen.
     Kaum bemerkbar ist die Sehnsucht, die dahinter liegt. Männer können sie überhaupt nicht erkennen. Das |67| können nur Frauen. Auch jene Frauen, die als Ameise wiedergeboren wurden.
    Ich tobte vor Wut: Ich war gerade mal drei Tage tot. Meine Leiche war sicherlich noch warm. Okay, vielleicht nicht mehr richtig
     warm. Aber sicherlich noch auf Zimmertemperatur. Und Nina begehrte schon meinen Mann?
    Sie besaß sogar die Frechheit, meine Tochter anzusprechen: «Möchtest du eine heiße Schokolade?»
    Lilly nickte.
    «Dann mache ich dir eine», sagte sie und tat dann etwas, was bei mir sämtliche Sicherungen durchbrennen ließ: Sie streichelte
     Lilly über den Kopf.
    Ich schrie: «Lass meine Tochter in Ruhe!»
    Aber natürlich hörten das nur die Ameisen, bei denen sich nun endgültig der Eindruck verfestigte, dass ich völlig gaga war.
    Ich hielt für zwei Sekunden inne: War das eine Überreaktion? Wollte Nina meine Tochter einfach nur ein bisschen trösten?
    Aber ich kannte Nina: Sie war so wie ich.
    Wenn sie etwas wollte, ging sie über Leichen.
    In diesem Fall über meine.
    Und sie wollte Alex.
    Das hatte sie schon immer.
    Und der Weg zu seinem Herzen führte über unsere Tochter.

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    |68| 13.   KAPITEL
    Wie von Sinnen rannte ich zum Tisch, ich wollte irgendetwas tun. Ich hatte zwar keine Ahnung, was, aber ich konnte doch nicht
     zusehen, wie man mir meine Familie wegnimmt! Am Tischbein angekommen, saugte ich mich an ihm fest und kletterte hoch, während
     Alex und Nina die heißen Getränke aus der Küche holten. Lilly ging in ihr Zimmer, um sich was zum Spielen zu holen, und Martha
     nutzte die Abwesenheit der Kleinen, um sich einen doppelten Sherry hinter die Binde zu kippen. Entsprechend befeuert, begann
     sie Carstens vollzuquatschen: «Sie sind doch auch beim Fernsehen?»
    Er nickte.
    «Sie müssen mal eine Sendung über diese Singlebörsen im Internet machen. Für Frauen wie mich ist es da gar nicht schön.»
    «Ah ja?», fragte Carstens mit kaum verhohlenem Desinteresse und führte seine Kaffeetasse zum Mund.
    «Ja!», erwiderte meine Mutter. «Wissen Sie, dass die meisten alten Böcke, die sich da anmelden, nur auf Sex aus sind?»
    Carstens verschluckte sich an seinem Kaffee.
    Martha fuhr unbeirrt fort: «Da will einfach keiner nur mal so ein gutes Gespräch führen. Alles Säcke.»
    Carstens erwiderte das, was jeder in seiner Situation gesagt hätte: «Ich muss mal eben auf die Toilette.»
    Er stand auf und ging. Alex kam indessen mit dem Kaffee rein, assistiert von Nina, die die heiße Schokolade für Lilly trug.
     Sie wirkte schon ein bisschen wie die Hausherrin!
    Ich beschleunigte und kletterte immer schneller das Tischbein hoch, Reinhold Messner war ein Dreck gegen mich.
    |69| «Die Rede des Pastors war sehr schön», sagte Nina.
    «Ja, er hat sehr schön über das Leid der Mutter gesprochen», ergänzte meine Mutter.
    «Vor allen Dingen hat er Kim sehr gut getroffen», meinte Alex.
    Diese Worte ließen mich bei meiner Klettertour innehalten, was hatte der Pastor wohl Schönes über mich gesagt?
    «Er hat sehr lange über ihre Bedeutung für die Gesellschaft gesprochen», sagte Nina.
    Ich fühlte mich geschmeichelt.
    «Und darüber, dass sie ein gute Mutter war», ergänzte Alex.
    Mich irritierte die Abwesenheit von Ironie in Alex’ Stimme. Er hatte mir doch im Drei-Tage-Takt das Gegenteil vorgeworfen.
     Glaubte er jetzt etwa doch, dass ich eine gute Mutter war? Das wäre schön. Nicht wahrscheinlich. Aber schön.
    Lilly kam indessen mit ihrem Gameboy herein, und Nina stellte ihr den Kakao auf den Tisch: «Ich hoffe, er ist nicht zu heiß»,
     sagte sie.
    «Nein, der hat Lilly-Idealtemperatur», antwortete Alex.
    Dieses an Nina gerichtete Kompliment ließ mich alles vergessen. Wütend erklomm ich den Tisch und wollte auf dem weichen Tischdeckenuntergrund
     direkt auf Lilly zukrabbeln, doch da stand ich plötzlich neben ihm: dem Kuchen!
    Mein Ameiseninstinkt rief «Haben wollen!» und gab meinen Beinen den Marschbefehl. Wie von Sinnen krabbelte ich auf den Kuchen
     zu – und sprang wenig später

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