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Milano Criminale: Roman (German Edition)

Milano Criminale: Roman (German Edition)

Titel: Milano Criminale: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paolo Roversi
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ihren Provokationen sechsunddreißig Kollegen verletzt!«
    Die Frau lacht laut auf.
    »Du wagst es zu sagen, dass sie euch verletzt haben? Wie viele habt ihr denn niedergeprügelt? Wie viele? Los, sag es mir.«
    Antonio schweigt. Er weiß, dass sie so nicht weiterkommen. Doch während sie reden, tauchen Erinnerungen in ihm auf. Vor seinem inneren Auge sieht er die jungen Leute und Castelli, der die Protestslogans in sein Megaphon brüllt: »Fabrikbesitzer brauchen dich, du sie aber niemals nicht«, »Nur mit Rot raus aus Schwarz«, »Seid realistisch, fordert das Unrealistische«, »Kämpfe hart, fürchte nichts«. Und der schönste von allen, an den auch er gerne glauben würde, wenn er kein Bulle wäre: »Phantasie an die Macht«. Dann geht alles sehr schnell, sehr brutal. Gesichter, Rempeleien, Geschrei, Schlagstöcke und Blut.
    Am Ende des Kampfes waren es einige Hundert Verletzte auf Seiten der Studenten, dazu sechzig Festnahmen und rund fünfzig weitere Anzeigen gegen Jugendliche, die wieder laufengelassen wurden.
    Er macht die Augen auf und spürt, wie ihm ein Schauer über den Rücken läuft.
    »Es musste einfach sein«, sagt er schließlich. »Schluss aus.«
    Sie hört gar nicht hin. Sie blättert in einer Zeitschrift vom Nachtschränkchen, ›Nuovi Argomenti‹.
    »Ich will, dass du etwas liest, ein Gedicht. Es handelt von euch und Valle Giulia.«
    »Von uns? Wir waren doch gar nicht in Valle Giulia …«
    »Von euch Bullen, Antonio. Von den Sklaven der Macht. Schau, lies das hier.«
    Als ihr euch gestern in Valle Giulia geprügelt habt
    mit den Polizisten,
    hielt ich es mit den Polizisten!
    Weil die Polizisten Söhne von armen Leuten sind.
    Sie kommen aus Randzonen, ländlichen oder städtischen.
    Was mich angeht, so kenne ich sehr wohl
    die Weise, wie sie als Kinder oder Jungen gelebt haben,
    die kostbaren tausend Lire, den Vater, auch er ein Junge geblieben
    wegen des Elends, das keine Autorität verleiht.
    Die Mutter mit schwieligen Händen wie ein Gepäckträger,
    oder zart,
    durch irgendeine Krankheit, wie ein Vögelchen;
    die vielen Brüder; das armselige Haus
    zwischen Gärtchen mit dem roten Salbei (auf fremdem,
    parzellierten Boden); die Kellerlöcher
    über den Kloaken; oder die Wohnungen in den großen Sozialkasernen, etc.
    Und dann seht, wie sie angezogen sind: wie Hanswürste
    mit jenem groben Stoff, der nach Truppenverpflegung,
    Schreibstube und Volk riecht. Schlimmer als alles natürlich
    ist die psychologische Verfassung, auf die sie reduziert sind
    (für vierzigtausend Lire im Monat):
    kein Lächeln mehr,
    keine Freundschaft mehr mit der Welt,
    abgesondert,
    ausgeschlossen (in einem Ausschluss ohnegleichen);
    erniedrigt, weil sie ihr Menschsein verloren haben,
    um Polizisten zu sein (gehasst werden lehrt hassen).
    Sie sind zwanzig, in eurem Alter, liebe Freunde und Freundinnen.
    »Schön, nicht wahr?«, fragt Carla, als er zu Ende gelesen hat.
    »Wer ist dieser Pasolini? Einer von uns?«
    »Ach was, ein kommunistischer Intellektueller.«
    Antonio verstummt und macht das Licht aus. Valle Giulia war ein schwarzer Tag für die Polizei und auch für die Studenten. Für alle. Und er markierte den Anfang der offenen Auseinandersetzung zwischen den beiden Parteien. Bis zu diesem Tag waren sie, die Polizisten – lächerlich in ihren plumpen, stets zu weiten Uniformen –, es gewohnt, dass die anderen sich widerstandslos auseinandertreiben ließen. Von nun an jedoch änderten die Demonstranten ihr Verhalten; sie wichen keinen Schritt mehr zurück, wenn die Bullen angriffen. Sie flüchteten sich in die Parkwege und auf die Rasenflächen und bewaffneten sich mit allem, was in Reichweite war: Steine, Planken der Parkbänke und Ähnliches. Sie zündeten Autos an. Kurzum, sie wehrten sich. Und so hatten sie es auch auf dem Largo Gemelli getan. Irgendein Schalter hatte sich umgelegt; von nun an gab es kein Zurück.
    4
    Il est interdit d’interdire: Der Ruf hallt durch die Straßen von Paris. Studenten skandieren die Worte, und man liest sie auf Hauswänden und Spruchbändern.
    »Was bedeutet das?«, fragt Landi am Steuer. Er ist ein schmaler Junge, schmächtig, aber mit einer in alle Richtungen abstehenden Lockenmähne.
    Neben ihm sitzt Santoni. Medizinstudent. Langer Bart, grüne Augen, strahlend weiße Zähne. Er sieht gar nicht aus wie ein Revoluzzer, sondern eher wie ein Fotomodell für Modezeitschriften. Er zuckt ratlos mit den Schultern.
    »Es ist verboten zu verbieten, das heißt es«, mischt

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