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Milano Criminale: Roman (German Edition)

Milano Criminale: Roman (German Edition)

Titel: Milano Criminale: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paolo Roversi
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einzureden, ›diese Gier, sich zu zeigen, alles mitzunehmen. Jederzeit und überall. Aber das passiert mir nicht noch einmal, es darf nicht wieder passieren.‹
    Zum Glück haben sie Nina freigelassen; sie hatte an diesem Abend keine Waffe bei sich, er genauso wenig. Die Bullen haben darüber die Nase gerümpft: Sie hätten ihm ein härteres Urteil gegönnt, doch nun muss er zur Strafe nur wenige Monate brummen. Er würde die Zeit gewinnbringend einsetzen, neue Dinger planen und sich eine Methode ausdenken, nicht mehr geschnappt zu werden. Beim nächsten Mal kommt er nicht mehr in das gemütliche Beccaria, sondern in die Zwei. Und dort bietet sein Ruf ihm keinen Schutz vor Unannehmlichkeiten.
    Doch diese Gedankengänge bringen ihm keine Ruhe. Das Nagen im Innern will einfach nicht aufhören.
    ›Ich war beschwipst, hatte diesen lachhaften, völlig auffälligen Wolfspelz an, einverstanden, aber war das genug, um die Bullerei auf mich aufmerksam zu machen? Die Stadt ist voll von pelztragenden Saufnasen.‹
    Wieder und wieder grübelt er darüber nach, bis die Antwort auf der Hand liegt: Jemand hat ihn verpfiffen. Immer wenn er darüber nachdenkt, erscheint ihm das am Ende die einzig mögliche Erklärung; die Bullen schauen nie grundlos in einem Nachtlokal vorbei, postieren sich dazu noch im Nebel, um ihn zu stellen. Das geschieht einfach nicht. Jemand muss ihn auf dem Tablett serviert haben, und diesen Jemand wird Vandelli finden. Und wenn er seinen letzten Centesimo dafür hinlegt, egal ob gespart oder bei einem der nächsten Raubzüge erbeutet.
    Das schwört er sich.
    3
    Antonios Hand fährt über Carlas glatte Haut, folgt in der Dunkelheit des Zimmers den weichen Konturen ihrer Hüfte. Schon will er tiefer gleiten, als sie ihn aufhält.
    »Hör auf«, sagt die Frau und rutscht auf ihre Betthälfte zurück.
    »Was ist denn?«
    Keine Antwort. Nur eine weitere fast unmerkliche Bewegung weg von ihm.
    »Was ist?«, hakt er nach.
    »Ihr habt sie niedergemetzelt.«
    Antonio setzt sich auf und lehnt sich an das Kopfende des Bettes. Er macht Licht und zündet sich eine Zigarette an.
    »Das ist es also«, sagt er, »mal wieder.«
    Sie sieht ihn verärgert an. Sie haben schon hundertmal darüber gesprochen, nach den Vorfällen am Largo Gemelli. Zehn Tage ist es her, doch seine Frau muss immer wieder davon anfangen. Der Polizist weiß, warum ihr diese Geschichte gerade jetzt in den Sinn kommt: Im Radio kam die Meldung, dass in Memphis, Tennessee, der Führer der Schwarzenbewegung für Bürgerrechte ermordet wurde, Martin Luther King. Was der mit Italien zu tun hat, will nicht in Antonios Kopf, er weiß nur, dass die Studentenbewegung ihn sich auf die Fahnen geschrieben hat. Wie mit Vietnam: Dort unten wollen sie den Frieden und sehen in dem schwarzen Geistlichen und jenen, die Präsident Johnsons Politik bekämpfen, den Hoffnungsschimmer auf eine bessere Gesellschaft und damit eine bessere Universität. In Italien!
    Ihre Gründe sind weit hergeholt. Carla hatte sie ihm erklärt, mit der Hingabe einer geduldigen Lehrerin vor dem gleichgültigen Schüler.
    »Was passiert da nur in unserem Land?«, hatte er eines Abends verzagt gefragt. »Mir kommt es vor, als seien alle verrückt geworden.«
    »Die jungen Leute haben es satt, das ist alles. Ausgehend von den Schulen hat sich eine Revolte gegen die verkrustete Kultur erhoben, die die Entwicklung Italiens blockiert. Das ist ein Generationenkonflikt, Antonio.«
    Ihr Tonfall war ruhig, fast dozierend. Schließlich ist sie eine Intellektuelle, sie hatte das Problem studiert, analysiert, versucht, es von Grund auf zu verstehen. Schließlich liest sie die Tageszeitung von vorne bis hinten, nicht nur die Verbrechensseite wie er, und sie liest sogar zwei: den ›Corriere‹ und die linke ›Unità‹.
    »Vielleicht tust du das ja, weil du den ganzen Tag zu Hause herumsitzt«, hätte er gerne zu ihr gesagt, schwieg aber wohlweislich.
    »Schau mal«, hatte Carla ihn belehrt, »auf der einen Seite stehen die Familienväter, die einer Generation angehören, welche die Kriegsgräuel erlebt hat und ihr Recht auf ein ruhiges Leben geltend macht; auf der anderen ihre Kinder, die feststellen, dass die Gesellschaft mit wachsendem Wohlstand immer unbeweglicher wird, wie eingegipst, und sie sich nicht in ihr wiedererkennen.«
    »Ich an ihrer Stelle würde mich nicht beklagen.«
    »Ach komm! Du würdest genauso denken wie sie. Du bist ja auch deinen eigenen Weg gegangen, ohne dich darum zu kümmern,

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