Milas Lied
in Theos Zimmer lauschen konnte. Aber dann hätte ich auch das andere Geräusch nicht gehört, das eine befreiende, das mich dann doch auf der Stelle einschlafen ließ: unsere Wohnungstür, die ins Schloss fiel. Mila, die nicht zum Frühstück blieb.
Warum versuchen ständig…
Warum versuchen ständig alle, mich festzuhalten? Was soll das sein? Ein Liebesbeweis? Ich bin kein kleines Mädchen mehr! Ich kann alleine laufen und ich komme überallhin. Und ich komme auch von ganz alleine zurück, wenn ich will. Man muss nicht nach mir rufen. Ich bin kein Hund.
Ich möchte gern ein Lied schreiben, aber ich schaffe es einfach nicht. Immer redet jemand dazwischen und sagt mir, dass er mich mag, oder sagt es nicht und schweigt es.
Meine Reise hat gerade erst begonnen. Ich will mich nicht ausruhen. Ich will nicht, dass es gemütlich ist. Gewürzregale flößen mir Angst ein. Genau wie Teelichter. Am liebsten hätte ich sie alle mit einem Mal ausgepustet. Ich fürchte mich nicht im Dunkeln. Warum versteht das hier niemand?
Das Licht im…
Das Licht im Keller war kaputt. Ich hasste den Keller von Herzen. Er war ein Labyrinth aus bröckelnden Wänden und Gerümpel. Hinter den meisten der namenlosen Holzverschläge türmten sich schimmlige Möbel, Dutzende Bananenkisten und Gespenster.
Ich ging zurück in die Wohnung, um eine Taschenlampe zu holen. Das Problem ist, dass dunkle lange Schächte im Schein einer Taschenlampe nur noch viel dunkler und länger aussehen. Und wenn man Pech hat, weckt man mit dem zuckenden Lichtkegel auch noch die zottelfelligen Monster auf, die es sich auf den Steinvorsprüngen bequem gemacht haben. Weiß doch jedes Kind, dass die es da gemütlich finden.
Trotz meiner Bedenken musste ich noch einmal hinunter. Ich brauchte Kohlen. Als ich mit Taschenlampe und Kohleneimer gerüstet an unserer Wohnungstür stand, klingelte es. Ich erschreckte mich fast zu Tode und ließ die Taschenlampe fallen. Es knallte und die Batterien kullerten über die Dielen. Ich drückte auf den Summer, doch da klopfte es schon. Ich öffnete und staunte nicht schlecht, denn vor mir stand Mila mit ihrem Gitarrenkoffer. Ich schaute sie mit großen Augen an, sie schaute mit großen Augen zurück, ich hielt den Kohleneimer fest umklammert und sagte: »Theo ist nicht da.«
»Ich weiß. Ich wollte ja auch zu dir.«
»Aha.«
»Ich dachte, es gibt etwas zu feiern.«
Wovon redete sie? Vom Valentinstag? Aber wäre das nicht eher Theos Part gewesen?
»Hast du nicht heute deine Hausarbeit abgegeben?«, fragte Mila unbeeindruckt in mein Schweigen hinein.
»Ja«, krächzte ich.
»Und?«, fragte Mila.
»Na ja, es war nicht unbedingt der feierlichste Moment meines Lebens«, log ich, denn natürlich war es eine ausgesprochen große Genugtuung gewesen, dem Haifisch die Arbeit doch noch termingerecht zu überreichen. Um 2:1 2 Uhr morgens hatte Mimi mir die endgültige Fassung ihrer Kapitel geschickt, gegen halb fünf hatte mein Drucker die letzte Seite ausgespuckt. Zuvor musste ich ihn beleidigen, verprügeln und eine Tintenpatrone wechseln. Es macht großen Spaß, morgens um vier nach einer Tintenpatrone zu suchen, vor allem wenn man seit Monaten sein Zimmer nicht aufgeräumt hat.
Ich hatte drei Stunden Schlaf und »Augenringe bis zum Arsch«, wie Theo beim Frühstück konstatierte. So sehen Helden aus.
»Na ja, vielleicht doch«, gab ich zu. Inzwischen kam es mir fast unhöflich vor, dass ich sie nicht hereinbat, es aber auch nicht über die Lippen brachte.
»Wollen wir darauf anstoßen?«, fragte sie gut gelaunt.
Es war seltsam mit Mila. Sie tauchte auf, wann sie wollte, tauchte nicht auf, wann sie wollte, und stets schien jede Form von Protest unangemessen. Hannah zum Beispiel meldete sich seit Wochen gar nicht mehr bei mir und sie hätte mindestens zehn Vorwärtsrollen mit geprelltem Steißbein machen müssen, um mich versöhnlich zu stimmen. Auf Mila konnte ich nicht mal richtig sauer sein. Es war wie verhext.
»Ich hab am Samstag in einer sehr netten Kneipe gespielt, in der Weserstraße, wollen wir da hin?«, fragte Mila.
»Neukölln?«
Mila nickte.
Ich zögerte zum Schein. »Na gut«, sagte ich schließlich. Da erst fiel mir auf, dass ich immer noch den Eimer in der Hand hielt. »Aber vorher muss ich in den Keller. Kohlen holen.«
Mila lächelte. »Gut. Soll ich dir tragen helfen?«
Zur Abschreckung für alle Pärchen hatten die Leute in Milas Kneipe auf dem Boden und auf den Tischen rote, hässliche Glitzerherzchen
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