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Milas Lied

Milas Lied

Titel: Milas Lied Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Britta Keil
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als hätte es unseren Nachmittag im Park nie gegeben und auch keinen Schneemann ohne Mund. Vielleicht hatte ich mich ja auch einfach zu sehr nach einer Freundin in Berlin gesehnt.
    Leider war meinem Magen mein Stolz piepegal. Nach ein paar Minuten griff ich schließlich zum Telefon. Wozu gab es den Pizzaservice? Pizza Salami Supreme mit Extrakäs e – ein würdiger Käsebrotersatz. Essen, das einen lieb hat.
    Wenig später klopfte es an meiner Tür und ich dachte schon, ich hätte den Pizzamann überhört. Aber da stand Theo und fragte mich, ob ich was mitessen wolle. Ich traute meinen Ohren kaum.
    »Hab mir ’ne Pizza bestellt.« Wie aufs Stichwort klingelte es. »Das wird sie wohl sein.«
    Ich ging an Theo vorbei, ohne ihn anzusehen, und nahm meine Pizza in Empfang. Ich wollte gerade zurück in mein Zimmer schlüpfen, da fragte Theo, der immer noch im Weg rumstand: »Willst du dich nicht mit uns in die Küche setzen?« Diese Frage erwischte mich so eiskalt, dass ich bloß mit den Schultern zuckte und hinter Theo in die Küche schlurfte. Mila saß schon am Tisch und grinste mich an. Ich lächelte schwach und sah als Nächstes, dass sie für drei gedeckt hatten. Bevor der Anblick dieser drei Teller mich irgendwie rührselig machen konnte, stellte ich einen Teller zurück in den Schrank und knallte meinen Pizzakarton auf den Tisch.
    Ich schlang meine Pizza hinunter, weniger weil ich in Gegenwart der beiden unbändigen Appetit verspürte, sondern damit mein Mund immer voll war und ich nichts sagen musste. Auch Theo und Mila sagten nicht viel, aber ich glaube, weil sie so vertieft in ihre Nudeln waren. Theo aß seine Spaghetti wie immer. Er schlürfte sie der Länge nach vom Teller, anstatt sie vorher auf eine Gabel zu wickeln. Es schien ihn nicht im Geringsten zu stören, dass er dabei aussah wie ein Dreijähriger. Auch Mila schienen die Saug- und Schmatzgeräusche nicht zu stören, und plötzlich beschlich mich der Verdacht, dass sie Theo nicht zum ersten Mal Nudeln essen sah. Überhaupt war da eine komische Vertrautheit zwischen den beiden. Es war nicht so, dass sie sich die ganze Zeit ansahen oder angrinsten, es war eher so, dass sie sich nicht die ganze Zeit ansahen und angrinsten.
    Ich bekam Bauchweh. Zu viel Käse, zu viel Information.
    »Wie geht’s dir denn so?«, fragte Mila mich plötzlich.
    »Gut.«
    »Schön«, sagte Mila.
    »Und dir?«, fragte ich.
    »Mir geht es auch gut.«
    »Schön.« Wenn Mila mich besser gekannt hätte, hätte sie den Sarkasmus in meiner Stimme bemerkt. Zum ersten Mal war ich froh, dass sie mich nicht besser kannte.
    Ich klappte den Deckel meiner Pizzaschachtel zu und stand auf.
    »Tut mir leid, ich muss wieder an den Rechner.«
    Mila schaute von ihrem Teller auf und sah mich fragend an. Fast ein wenig vorwurfsvoll. Aber nur fast.
    »Ich muss noch was schreibe n … für die Un i … eine Hausarbeit«, stammelte ich. Mein albernes Benehmen machte mich nun selbst verlegen, aber ich konnte einfach nicht anders. »Am Montag ist Abgabetermin«, fügte ich entschuldigend hinzu, sah zu Theo und wurde so rot wie seine Mundwinkel. Theo lud sich einen neuen Berg Nudeln auf den Teller und nickte.
    »Na dann wünsche ich dir viel Glück«, sagte Mila und es machte mich stutzig, wie wenig sarkastisch das klang.
    Ich lag auf dem Bett und hatte immer noch Bauchweh. Aus Theos Zimmer klang gedämpft der Ton des Fernsehers und hin und wieder ein Lachen. Ihr Lachen. Es war schon spät und ich hätte diese Nacht eigentlich dazu nutzen sollen, mich endlich einmal auszuschlafen. Aber ich konnte nicht schlafen. Immer wieder sah ich Mila vor mir in unserer Küche sitzen wie ein gezähmtes Wunder. Ich musste daran denken, wie sie in der U-Bahn gesungen hatte und dass mir ihre Stimme sofort vertraut erschienen war, überwältigend vertraut, und wie sie zum ersten Mal im Delirium an der Bar gehockt hatte mit Werner in seinem grünen Samtbett. Du hast schöne Hände. Unser Schneemann musste inzwischen längst getaut sein. Seit Tagen war es über Null Grad. Irgendwo auf der Wiese, gut getarnt zwischen Hundehaufen, lagen jetzt zwei Kastanien aus Rostow am Don und eine bunte Papphülse, die vom Himmel gefallen war. Ich wünsche dir viel Glück.
    Nichts an Mila schien falsch oder verschlagen und dennoch fühlte ich mich von ihr verraten. Vielleicht war ich aber auch einfach nur erschöpft und ein bisschen allein. Fast wünschte ich, mir würden auch die Ohren abfallen, damit ich nicht länger auf die Geräusche

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