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Milas Lied

Milas Lied

Titel: Milas Lied Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Britta Keil
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formte ihm aus dem frischen Schnee ein paar neue und klebte sie ihm an. Nicht ganz so große diesmal, damit die anderen Schneemänner ihn nicht hänselten. Ich musste grinsen. Mila hätte das gefallen.
    Theo würde nie einen Schneemann bauen. Bestimmt langweilte Mila sich mit ihm zu Tode. Bestimmt würde sie am Sonntag ins Delirium kommen und mir von ihrem stinklangweiligen Nachmittag mit Theo erzählen. Und Theo würde sich spätestens morgen wieder mit einem seiner Aloe-Vera-Mädchen treffen.

Ihn zu küssen…
    Ihn zu küssen ist besser, als dich nicht zu küssen. Er macht mir keine Geschenke. (Erst recht keine geklauten.) Und keine Versprechen. Ich muss nicht dankbar sein.
    Er zeigt mir die Stadt. Er spricht ihre Sprach e – er ist hier geboren. Ich habe gehört, so jemand wie er ist hier selten. Alle kommen von woanders her, alle wie ich. Er kennt viele Geschichten und jede Menge Leute. Er könnte mir nützlich sein. Er sieht mich gerne an. Er bringt mich zum Lachen. Er wird mich nicht zum Weinen bringen. Ich bin frei, aber nicht allein. Alles ist perfekt.
    Vielleicht sollte ich einfach hierbleiben. Hier gibt es Leute, die an mich glauben. Die für meine Musik bezahlen. Wer sollte mich daran hindern? Ganz sicher nicht dieser Fetzen Papier. Wer sollte mir verbieten, glücklich zu sein?
    Unser Ende ist besiegelt, kleine Sonne. Mit einem Kuss, den du nicht bekommen hast.

Du musst das…
    Du musst das Leben nicht verstehen, dann wird es werden wie ein Fest. Das traf auf mich zur Hälfte zu. Das Fest wurde aber ohne mich gefeiert. Im Zimmer nebenan. In unserer Küche. Ich hörte Töpfe und Geschirr klappern, Gläser klirren. Na sdorowje!
    In der weißen Küche im Haus gegenüber wurde auch gekocht. Manchmal war unser Hinterhof wie Kino. Lauter kleine Stummfilme hinter Glas. Ich sollte aufhören, aus dem Fenster zu starren. Ich musste eine Hausarbeit schreiben und zwar sofort. Ich hatte inzwischen nur noch fünf Tage und der Haifisch würde keine Ausreden akzeptieren, auch wenn sie der Wirklichkeit entsprachen. Zum Beispiel dass ich die letzten drei Wochen fast täglich im Delirium verbracht hatte. Evi war komplett ausgefallen, weil es irgendwelche Komplikationen mit der Schwangerschaft gab, die Ärmste, und ich kriegte den Geruch nach Rauch und Frittenfett und Achim nicht mehr aus den Klamotten. In den Vorlesungen schlief ich meistens oder war damit beschäftigt, es nicht zu tun. Dennoch war ich froh über jeden Abend, an dem ich nicht wusste, was Theo tat. Außerdem konnte ich das Geld mehr als gut gebrauchen, Achim endlich beweisen, dass es eine großartige Idee gewesen war, mich, das Landei, anzuheuern, das nun seinen Laden schmiss, und zu guter Letzt hatte ich die leise Hoffnung gehegt, Mila würde doch noch mal im Delirium auftauchen, nachdem sie mich am Sonntag vor drei Wochen versetzt hatte. Aber Mila war nicht gekommen. An keinem Sonntag, keinem Montag, keinem Dienstag. Gar nicht. In ihren Augen waren wir wahrscheinlich nicht mal verabredet gewesen. Ein »Ja-vielleicht« ist eben auch weniger als ein J a …
    Auf meinem Schreibtisch lag ein schmaler, geblümter Gedichtband. Rilk e – Liebesgedichte. Ich hatte aufgehört darin zu lesen, nachdem Mila auch am zweiten Sonntag nicht im Delirium aufgetaucht war. Seit sie heute Nachmittag wieder vor unserer Tür gestanden hatte, um Theo zu besuchen, benutzte ich Rilke als Untersetzer für meine Kaffeetasse. Ich hörte Mila nebenan lachen und fragte mich, was an Spaghetti mit Tomatensoße eigentlich so lustig war.
    Ich schaute auf den Bildschirm. Viel hatte ich in den letzten paar Stunden nicht zustande gebracht. Um genau zu sein, war ich über die Einleitung nicht hinausgekommen. Und selbst die war zur Hälfte zusammengeklaut. Ob der Haifisch Gnade walten ließ, weil am Montag Valentinstag war? Wohl kaum. Ich verbreiterte den Seitenrand des Dokuments und vergrößerte die Schrift um einen Punkt und schon hatte ich eine halbe Seite gewonnen. Zeit für eine Pause.
    Normalerweise wäre ich jetzt in die Küche gegangen und hätte mir ein Käsebrot geschmiert, mit ganz viel Käse, sauren Gurken und Ketchup obendrauf. Aber das ging ja leider nicht. Und so wie ich Theos Kochkünste einschätzte, war für seine Tomatensoße ohnehin die ganze Flasche Ketchup draufgegangen. Ich wusste nicht mal genau, auf wen der beiden ich weniger Lust hatt e – auf Theo, diesen Spitzenkoch, oder auf Mila, die unsere Begegnung kein bisschen magisch gefunden hatte. Zumindest tat sie so,

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