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Milchblume

Milchblume

Titel: Milchblume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Sautner
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Primeln, Kuhschellen, Gänseblümchen und Schlüsselblumen. Alle haben ihre Köpfe nach oben gestreckt, weil auch sie nicht genug bekommen haben von der Frühlingssonne. Es war zum glücklich In-die-Luft-Springen und sorgenfrei Vor-sich-hin-Pfeifen. Es war der völlig falsche Tag für ein Begräbnis.
    Endlich haben die Leute wieder bloßfüßig raus können. Sogar den Kühen hat man ihre neu gewonnene Lebensfreude angemerkt. Weil es wieder frisch geschnittenes Gras gab, haben sie, schwuppdiwupp, als Dank auch gleich wieder mehr und bessere Milch gegeben.
    Wenn die Gemüter von Kurt und Franz noch eine Woche klammes Vorfrühlingswetter durchgestanden hätten, habe ich mir gedacht, wenn sie ihre Unzufriedenheit noch eine Woche hätten zügeln können, nur eine Woche ihren Zwang noch gebremst, irgendetwas Verzweifeltes zu tun, um nur ja vom Hof wegzukommen, dann hätte ihnen der sonnige Frühlingswind vielleicht alle bösen Gedanken und alle Trübsal aus den Herzen geblasen, und sie hätten gesehen, wie schön sie es haben, in Legg.
    Ja, du hast recht. Ich war auch schon einmal verzweifelt bis tief hinein und habe weder ein noch aus gewusst, war auch schon einmal so weit, mein Leben wegzuschmeißen. Auf welche Art auch immer, es war mir egal. Nur die Sinnlosigkeit und das Leiden sollten enden. Aber das ist lange her, damals war ich noch ein Kind und habe niemanden gehabt. Da kann es einem schon passieren, dass man böse wird und grob. Oder dass man sich wegwirft. Eines von beiden.
    Warum ich mich damals nicht davongemacht habe aus dem Leben? Du Schalk, du weißt es doch ganz genau. Willst es nur hören, ich weiß schon. Du warst es, du bist mir damals zum ersten Mal erschienen, hast dich das erste Mal gezeigt. Du und Fabio, ihr beide habt mir Wissbegier und Hoffnung geschenkt, habt mich gierig gemacht auf meine Zukunft, habt sie mich sehen lassen, ein Stück nur, aber für mich klar genug. Es sei an mir, nur handeln müsse ich, dann werde sie da sein, meine Zukunft, mit einem Mal. Es wird geschehen, habt ihr mir vorausgesagt, wenn ich bereit bin für die Wunder dieser Welt, nach denen es nur zu greifen gilt mit Mut und offenem Herzen.
    So jung und unerfahren ich damals war, ich habe den Sinn eurer Worte sofort verstanden, wenn ich auch keine Ahnung gehabt habe, was genau ich nun tun musste. Aber ich habe ja euch gehabt, ihr wart meine Lehrer. Als hättet ihr es miteinander abgesprochen, habt ihr, getrennt voneinander, sowohl du als auch Fabio, mir beinahe dasselbe gesagt. Ihr habt mir geraten, mir meine Seele nicht vergiften zu lassen von traurigen Menschen, deren Leben bestimmt wird von Hass und Angst. Habt mir geraten, mich nicht verletzen zu lassen von der Wut und Gemeinheit, mit der sich Menschen ablenken, die ein Lebtag nichts Herzliches zuwege gebracht haben.
    Heute weiß ich, es waren wertvolle Ratschläge. Viel Leid habt ihr mir damit erspart. Zum ersten Mal habe ich begriffen, dass die Bösartigkeit der Menschen nicht mir gilt, sondern ihnen selbst. Also habe ich mich entschlossen, jenseits der Gemeinheiten der anderen zu leben und fortan ich selbst zu sein.
    Bis dahin war es ein langer Weg. Mit acht habe ich schon am Hof mithelfen müssen. Und in der Behandlung von mir und dem Knecht, den der Seifritz-Bauer damals noch gehabt hat, gab es kaum einen Unterschied. Grob und kalt war er zu uns beiden. Weil ich aber kein gestandener Knecht war, sondern ein Kind, war ich dankbar für jedes kleine Zeichen meines Vaters, das sich nach Liebe angefühlt hat. Ich war gierig danach, habe gespannt darauf gewartet, wie auf eine Sternschnuppe, die es nicht zu verpassen gilt, weil sie doch selten ist und so flüchtig. »Jetzt kannst du es auch einmal versuchen«, hat der Seifritz-Bauer einmal zu mir gesagt, und mir den Wetzstein zum Schleifen der Sense in die Hand gedrückt. Ich war stolz, und mein Herz hat geklopft vor Aufregung. Rasch hat er mir gesagt, wie es gemacht wird. Aber er hat mir nicht gesagt, dass ich den Daumen beim Wetzen nach unten halten muss. So habe ich ihn mir auseinander geschnitten. Er hat nur gelacht. Wie einer, der alles vorausgesehen hat, hat er gelacht, und dann hat er gesagt: »Das war bei mir genauso, als ich zum ersten Mal die Sense geschliffen hab. Das heilt wieder.« Er hat recht behalten, der Schnitt ist wieder vergangen, der Schnitt am Daumen.
    Die nächsten Tage hat das Arbeiten furchtbar wehgetan, besonders das Melken. »Sieben Mal musst du dich schneiden, bevor du ein guter Schnitter bist«,

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