Milchblume
hat der Seifritz-Bauer zu mir gesagt, als mir die Haut unter der Klinge zum zweiten Mal aufgeplatzt und das Blut warm über meine Hand geronnen ist und ich geschluckt habe, fest hinuntergeschluckt, damit ich nur ja nicht weinen muss. »Sieben Mal musst du dich schneiden«, hat er wiederholt und ich habe von unten her seinem breiten Rücken nachgeschaut, mit dem heraushängenden Hemdzipfel und den speckigen Hosenträgern.
Ich weiß nicht, wie viele hundert Mal ich seitdem die Sense zischend durchs Gras habe laufen lassen. Manchmal warst du dabei und hast uns beobachtet, wie wir zeitig in der Früh raus sind, damit schon ordentlich was erledigt ist, wenn der Hahn zum ersten Mal kräht. Den Wetzstein habe ich immer bei mir gehabt, immer griffbereit an meinem Gürtel. Wenn wir mit dem Mähen fertig waren, haben wir die Bandeln aufgeschlagen, darauf die Mahd gelegt und sie zu schönen Garben zusammengebunden. »Klaubt ja alles auf«, hat der Seifritz-Bauer gedroht und uns für jeden Halm, der uns dann doch herausgerutscht ist, Hiebe verpasst. Damit wir es uns merken und was draus lernen, hat er gesagt. Bei ihm sei es damals auch nicht anders gewesen.
Ich wurde jedes Mal härter bestraft als Hans und Fritz. Erklärt habe ich mir das damals damit, dass ich der Älteste von uns war. Als wir die Heukraxen fertig mit Gras oder Klee beladen haben, war der Seifritz-Bauer dann wieder ruhig und zufrieden und hat ein stolzes Gesicht gemacht.
Harte Arbeit war es, jeden Tag. Oft ist sie über meine Kraft gegangen. Aber heute fällt sie mir leicht, als wäre es gar keine Arbeit. Das ist wahrscheinlich auch der Grund, warum ich solche Freude dabei habe. Was ich noch nicht so recht weiß, ist, was ich daraus lernen kann, dass der Seifritz-Bauer recht behalten hat: Geschnitten habe ich mich nämlich genau sieben Mal, wie es sich gehört.
12.
Z ur Sommersonnwende gingen der Seifritz-Bäuerin die Kühe durch. Breitbeinig und barfuß war sie am Fuhrwerk gestanden, hatte das frisch geschnittene Gras entgegengenommen, das ihr Hans und Fritz mit ihren Heugabeln nach oben geworfen hatten. Jeder Rain und jeder Straßengraben wurde abgegrast, mit der Sense gemäht, mit dem Rechen zusammengerafft, mit der Heugabel auf dem Karren aufgetürmt. »Und dass ihr mir keinen Halm stehen lasst!«, hatte ihnen der Seifritz-Bauer wie immer nachgeplärrt. »Wir haben nichts zu verschenken!«
Die ins Joch gespannten Kühe waren unruhig gewesen. Fette Pferdebremsen hatten sich in ihre Flanken gesaugt, in ihre Rücken, ihre Hälse. Schließlich war ihre Geduld zu Ende, ihre Nerven lagen blank. Kurz schnauften sie noch einmal auf, warfen die Vorderbeine in die Luft, wie es Hans und Fritz bisher nur von Pferden kannten, und zogen ab, mitsamt dem Wagen, ruckartig und voll panischer Kraft. Hans und Fritz mussten mit ansehen, wie ihre Mutter vom Wagen gerissen wurde, aufschlug am Boden, wie neben und hinter ihr Rechen und anderes Werkzeug niederkrachten, lose Latten, die es vom Wagen warf. Die Buben stürzten zur Mutter. Die hielt sich den Bauch und schickte sie weg, mit hektisch besorgtem Blick. »Fangt die Kühe ein und sammelt alles auf.« Als die beiden zurückkamen, kauerte sie in der Wiese, die Beine eng an den Körper gezogen, den Blick im Leeren, entrückt.
»Was ist, Mutter?«, fragte Fritz, dem ängstlich zumute wurde.
»Nichts, gar nichts, nur ein paar blaue Flecken.« Sie raffte sich auf und begleitete ihre Söhne zum Hof. Niemandem erzählte sie etwas vom Nachzüglerkind, das sie bis zu dem Sturz unter ihrem Herzen getragen hatte.
»Ist dem Vieh was geschehen?«, wollte der Bauer daheim dann wissen, »Hat der Karren was abgekriegt?«
»Nein«, sagte Hans froh, »gottlob nicht, Vater. Alles in Ordnung.«
»Mutter hat ein paar blaue Flecken«, erzählte Fritz, aber das interessierte den Bauern nicht sonderlich. Auf die Viecher habe sie nicht achtgegeben, beschwerte er sich, schon wieder abgewandt. Und dass mit ihr nichts Schlimmes passiert sei, sehe er ohnehin.
Nicht nur Gras wurde geschnitten in diesen Tagen. Seit Wochen schon herrschte vielfältige Betriebsamkeit in Legg. Mit Setzhölzern waren bereits die Krautpflanzen in die Erde verfrachtet worden, und auch die Erdäpfel würden bald im Boden keimen. Eine ganze Schar Leute war ausgerückt, um mit Holzschlegeln und Schaufeln die harten Erdschollen klein zu schlagen. So sehr die Arbeit ins Kreuz ging und in den Armen zog, sie war Voraussetzung für eine gute Ernte. Die größeren Erdäpfel
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