Milchblume
Abend mit aufgeblähtem Magen im Stall. Dann musste dem Tier ein dicker Schlauch durch Maul und Hals bis tief in den Bauch geschoben werden. Nur so konnten die gefährlichen Gase entweichen. Blähte es mehrere Kühe zugleich auf, was zuweilen durchaus geschah, wussten die Bauersleute nicht, wo sie zuerst helfen sollten.
An diesem Abend riss es Jakob regelrecht herum, alle Hände voll hatte er zu tun, ohne Unterlass, bis spät in die Nacht. »Entschuldige«, sagte er keuchend in einem fort. Zu jeder Kuh sagte er es, zu jeder, der er mit dem Schlauch Abhilfe verschaffen musste. »Entschuldige, dass ich nicht auf dich aufgepasst habe heute auf der Wiese. Entschuldige.«
Wenige Tage später, an einem schwülen Sommermorgen, erwachte Jakob in seiner Kammer am Seifritz-Hof. Er schlug die Augen auf, drehte sich zur Seite, legte die Wange in die flache Hand, und überlegte, auf welche Arbeiten und Erlebnisse er sich heute freuen durfte. Da fiel ihm ein, dass es kurz vor Neumond war, und heute ein Schwendtag im Kalender stand – einer jener Tage, die altem Glauben zufolge unter einem unglücklichen Stern stehen; einer jener Tage, die schwinden machen, also bedrohlich sind für Pflanzen, Tiere und Menschen. Jakob wusste nicht so recht, ob er an das Altweibergeschwätz glauben sollte, dass an Schwendtagen jede Unternehmung fehlgehe und deshalb unter keinen Umständen gesät, gepflanzt, geschnitten oder geerntet werden durfte. Auch Geschäften sollte angeblich nicht nachgegangen werden, wollte man am Ende des Tages nicht gehörnt dastehen. Als es Jakob vor Jahren einmal genau hatte wissen wollen, und er den Seifritz-Bauern fragte, was denn nun wirklich von einem Schwendtag zu halten sei, und warum an so einem Tag Ungemach ins Haus stehe, bekam er eine jener unvergleichlichen Antworten, die den Umgang seines Vaters mit ihm kennzeichneten: »Frag nicht so blöd«, hatte er gesagt. »Schwendtage sind Unglückstage. An so einem Tag bist du geboren.« Zumindest hatte der Bauer erreicht, dass Jakob fortan nicht bloß ungefähr wusste, was ein Schwendtag war, sondern es fühlte, durch und durch. Schließlich hatte er bereits hinlänglich erfahren müssen, was seine Familie und die anderen im Ort von ihm hielten und wie mit ihm umgesprungen wurde. Ein Schwendtag, das war Jakob fortan überdeutlich, wenn auch nicht nachvollziehbar, war für die Menschen in Legg ein pechschwarzer Tag. Ein Tag, an dem nichts Gutes gedeiht und nichts Gutes passiert.
Weil er sich die Freude aber nicht so ohne Weiteres stehlen lassen wollte, zählte er für sich auf, mit welchen Tätigkeiten er diesen herrlichen, sommerschweren Tag ausfüllen könnte. Unkraut jäten würde er, nahm er sich vor. Und Ungeziefer von den Pflanzen nehmen. Das sei schließlich die ideale Arbeit an einem Schwendtag, war das Pflanzenwachstum doch gehemmt und würde alles entfernte Gestrüpp und Getier ein für allemal verschwinden. Auch für Reinigungsarbeiten, wusste Jakob von den Alten, waren Schwendtage bestens geeignet.
Er schnellte aus seiner Bettstatt, hüpfte gut gelaunt in die Kleider und schoss aus seiner Kammer hinaus in den Stall, um zum Huber-Hof zu laufen. Nach wenigen Schritten stand er knöcheltief in warmem Blut.
Röchelnd lag ihm eine der Kühe im Weg, ihr Unterleib angeschwollen bis zum Platzen, die Beine in die Höhe gestreckt. Wilde Zuckungen durchfuhren ihren Körper. »Nein, nicht schon wieder«, konnte Jakob noch sagen, und niederknien, um der Kuh über den verschwitzten Schädel zu streichen, dann packte ihn einer jener Krämpfe, die immer kamen, wenn Jakob Leid mit ansehen musste, umschloss ihn jener Panzer, der ihn schützen sollte vor dem Schmerz, und der ihm jede Kontrolle über seinen Körper versagte. Jakobs Tränen vermischten sich mit dem Blut des Tieres.
»Jemand sollte ihr die letzte Gnade erweisen«, sagte die Seifritz-Großmutter, die plötzlich dastand. Dann schlapfte sie davon, gab ihrem Sohn Bescheid.
Der Seifritz-Bauer kam und sagte kein Wort. Er schien aufgewühlt, sein Atem ging schnell. Er wandte sich um, schritt nach nebenan und kam mit einer Spaltaxt zurück. Breitbeinig stellte er sich vor das Tier. Erschöpfte Augen sahen ihn an. Der Bauer holte aus, schwang die Axt bis über seinen Kopf, ließ sie mit Wucht nach unten fahren, dumpf krachend, in die Stirn des Tiers. Die Kuh schnaubte aus den Nüstern, verdrehte panisch die Augen, in ihrem Schädel steckte die Axt. Der Seifritz-Bauer zerrte am Stiel, doch das Eisen löste sich
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