Milchfieber
lügen wie er.
„Ich komme auch gleich“, rief Hella hinter ihnen her und Nina sah ihren Onkel wortlos an. Allmers grinste.
Die Arbeit im Stall während der Milchkontrollen wurde bei Köhlers immer durch frischen Kaffee erleichtert. Normalerweise lief Friedel im Laufschritt durch den Stall, riss seinen Kühen die Melkzeuge vom Euter und hechtete zu Allmers, der am Ende des Futtertisches sein kleines, aus dünnen Rundeisen selbstgebautes Schreibpult aufgebaut hatte. Friedel molk nicht viele Kühe, sein Betrieb hatte das Schicksal der meisten kleineren Bauernhöfe ereilt: es gab keinen Nachfolger. Köhlers Kindern war der Hof zu klein, es gab keine Entwicklungsmöglichkeit und so ließen Hella und Friedel, wie viele Nachbarn, ihren Betrieb langsam auslaufen. Sie hatten noch zwei Jahre bis zur Rente und in den beiden letzten Jahren wollten sie nichts Neues mehr in Angriff nehmen. Allmers bedauerte sich schon jetzt manchmal selbst, wenn er daran dachte, dass diese kleinen Schmuckstücke seines Milchkontrollbezirkes einfach aussterben würden und er nur noch in riesigen Melkständen gegen den Krach der großen Pulsatoren anarbeiten sollte.
„Der Tierarzt kommt noch“, meinte Friedel, „ich muss mich ein bisschen beeilen.“
„Dann wird’s ja heute mal schnell gehen“, spottete Allmers, aber Friedel war schon hinter der ersten Kuh verschwunden und hörte ihn nicht.
Nina sah Allmers wortlos bei der Arbeit zu und langweilte sich offensichtlich.
„Die haben schöne Katzen“, meinte Allmers und hoffte, Nina würde sich angesprochen fühlen.
„Ah ja“, erwiderte sie und gähnte.
„Mareike“, Friedel kam mit dem Proberöhrchen und dem Namen der ersten gemolkenen Kuh an das Pult.
Allmers trug die gemessene Milchmenge des Tieres in seiner Liste ein und entnahm dem Röhrchen ein paar Kubikzentimeter Milch, die später im Labor untersucht werden sollten.
„Verstanden?“, fragte er seine Nichte, in der Hoffnung, bei ihr etwas Leidenschaft für seinen Beruf entfachen zu können.
„Glaub schon“, erwiderte sie tonlos und sah in die Ferne.
„Der Tierarzt ist da“, rief Hella aus der Küche. In den alten Bauernhäusern führte oft eine Tür aus der Küche, in der sich das familiäre Leben abspielte, direkt in den Stall, so als ob die Tiere besser gedeihen würden, wenn sie teilhaben konnten an den Gesprächen, Auseinandersetzungen oder Streitereien, die aus der Küche fast ungefiltert hinaus drangen.
Dr. Richter kam wie immer in den Stall. Den rechten Arm bedeckte schon ein langer Untersuchungshandschuh, der bis zur Schulter reichte, er streckte ihn weit von sich und schnaubte: „Wo ist sie?“ Er meinte das Tier, das er entweder besamen oder behandeln musste. Immer hatte er es eilig und selten nahm er sich die Zeit, das Rind erst einmal in Ruhe zu begutachten oder zu untersuchen, bevor er seine Diagnose fällte.
Spötter unterstellten ihm, dass seine Assistentin die Diagnose schon bei den Anrufen der Bauern in der Praxis stellte, sie säuberlich in eine Liste eintrug und er damit losfuhr. Immer wusste er schon im Voraus, woran das Tier erkrankt war, auch wenn der Bauer nur unsicher vage Symptome am Telefon beschrieben hatte.
„Wer soll’s sein?“ fragte er. Köhler hatte ihn einer Besamung wegen bestellt.
„Amadeus“, erwiderte Friedel.
Nina sah Allmers fragend an. Sie hatte den Sinn der formelhaften Unterhaltung nicht verstanden.
„Der Bulle, mit dem die Kuh besamt wird, heißt so“, erklärte Allmers. Nina nickte.
Dr. Richter entnahm dem Gefrierfach, das in seinem Auto eingebaut war, eine Spermaportion, zog sie auf die Küvette auf und ging in den Stall. Sein Blick fiel auf Nina. Was jetzt kam, überraschte nicht nur Allmers.
„Ah“, sagte der Tierarzt gedehnt, „deine Assistentin?“
„Meine Nichte.“
„Komm mal her, ich erklär dir das.“
Nina ging zögernd zu dem Tierarzt. Trotz ihrer Gummistiefel wollte sie so wenig wie möglich mit Kuhmist in Berührung kommen.
Der Tierarzt begann, die Feinheiten der künstlichen Besamung zu erklären und schien es zu genießen, die Details der Spermaentnahme dem jungen Mädchen erklären zu können
„Der Samen“, begann der Tierarzt und rückte seine randlose Brille auf der Nase gerade, „wird mit Hilfe einer künstlichen Scheide gewonnen. Dabei lässt man den Bullen auf ein Holzgestell springen. Darunter sitzt ein Helfer und hält den Behälter, in den der Bulle ejakuliert.“
Nina verzog keine Miene.
Dr. Richter kam in Fahrt und
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