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Milchfieber

Milchfieber

Titel: Milchfieber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas B. Morgenstern
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Ruhe die Milchkontrolle hinter sich bringen konnte.
    „Ich habe Nussecken gemacht“, sagte Hella wie erwartet zur Begrüßung und musterte Nina von oben bis unten. „Kommt erst mal in die Küche. Friedel holt die Kühe. Er muss bald da sein.“
    Nina konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. Allmers hatte ihr während der Fahrt eine kurze Einführung in die Eigenheiten der Beiden gegeben und dazu gehörte auch, dass Friedel es noch nie geschafft hatte, vor dem – pünktlichen – Erscheinen des Milchkontrolleurs die Kühe im Stall zu haben.
    Hella holte zwei Kaffeetassen aus dem Schrank, legte die Nussecken auf drei Teller und stellte sie auf den Tisch.
    „Willst Du Saft oder Milch?“, fragte Hella an Nina gewandt und begann sich am Kühlschrank zu schaffen zu machen. Nina sah Allmers fragend an.
    „Ich hätte gern einen Kaffee“, sagte Nina ohne Regung in der Stimme. Sie hasste es, als Kind behandelt zu werden.
    „Du bist ja schon eine richtige junge Dame“, bemerkte Hella spitz und Nina ahnte, dass dieser Nachmittag unerfreulich werden würde. Sie nickte stumm und biss in eine Nussecke. Ihre schlechte Laune war sofort verflogen.
    „Die schmeckt ja unglaublich!“, platzte sie heraus und hatte damit Hellas Herz gewonnen.
    „Friedel kommt“, sagte Hella Köhler nach einer Weile, in der sie Nina zufrieden zusah, wie die eine Nussecke nach der anderen verspeiste.
    Allmers liebte die beiden Alten, die Milchkontrolle bei ihnen war der monatliche Höhepunkt seines beruflichen Schaffens. Nirgendwo fühlte er sich so zu Hause und geborgen wie bei Hella am Küchentisch mit einer Tasse Kaffee und einem großen Stück Käsekuchen, den Erzählungen der Bäuerin lauschend. Ihre Gabe, über alles und jeden im Dorf Bescheid zu wissen, verwandtschaftliche Beziehungen zu kennen, über die manchmal die Betroffenen nicht Bescheid wussten und überraschende Schlüsse zu ziehen, war legendär und unschlagbar.
    Nur manchmal ärgerte er sich ein wenig über Hella. Es kam selten vor, dass der Kuchen nicht schmeckte, aber wenn sie über irgendetwas verstimmt war, konnte es vorkommen, dass sie sich an den Küchentisch stellte und ihre Wut und Rachsucht in den Teig knetete. So wurde Allmers manchmal wortlos ein Stück staubiger Sandkuchen oder klebriger Marmorkuchen auf den Teller geworfen, lauwarmer Kaffee eingeschenkt und, als Höhepunkt, keine Milch auf den Tisch gestellt. Allmers trug diese seltenen Ausbrüche mit Fassung. Er wusste, er durfte keine Miene verziehen, denn wenn Hella meinte, Allmers hätte genug an dem gelitten, woran er keinerlei Schuld hatte − es konnte sich dabei um einen Streit zwischen Hella und Renate Poppe um ausgerissene Karnickel handeln, die bei Köhlers den Gartenkohl abgefressen oder um Kinder von Nachbarn, die Hella die ersten Kirschen vom Baum geklaut hatten − stand sie plötzlich seufzend auf, murmelte: „Ist ja auch egal“ und öffnete die Tür eines Hängeschrankes. Im zweiten Teil des Nachmittags wurden dann Höhepunkte ihres konditoralen Schaffens präsentiert, die die beiden, Friedel musste ja Kühe holen, mit stillem Genuss verzehrten.
    „Du siehst aus wie deine Mutter!“, bemerkte Hella plötzlich und Allmers sah mit Schrecken, wie Ninas Gesicht versteinerte. „Wie deine Mutter. Ich sehe sie noch vor mir, als Dreizehnjährige, wenn sie mit Anita aus dem Konfirmationsunterricht kam. Sie sah aus wie du. Genauso.“
    „Ich bin fünfzehn.“ Nina brachte es nur mit zusammengepressten Zähnen heraus.
    Allmers tat sie leid. Insgeheim bereute er es, sie mitgebracht zu haben.
    Aber Hella war nicht zu bremsen. Allmers hatte ihre Direktheit bisher nicht gestört, aber heute war es ihm unangenehm.
    „Und groß bist du geworden“, fuhr Hella ungerührt fort. „Und schon eine richtige junge Dame.“
    Nina holte tief Luft, aber sagte nichts. Allmers sah sie eindringlich an und sie verstand, dass es jetzt besser war, zu schweigen.
    „Und? Hast du schon einen kleinen Freund?“
    Dass Friedel den Kopf zur Tür hereinstreckte, erschien Allmers wie eine Erlösung. Weitere unpassende Fragen von Hella schienen unausweichlich und so beschloss er, Nina aus Hellas Küche zu befreien.
    „Kommst du mit?“
    Nina sprang auf und heuchelte Begeisterung. Überzeugend, wie Allmers fand: „Darauf habe ich mich schon den ganzen Nachmittag gefreut“, log sie und Allmers hatte schon das zweite Mal das Gefühl, dass er sich mit ihr gut verstehen könnte. Immerhin konnte sie genauso gut und überzeugend

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