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Milchfieber

Milchfieber

Titel: Milchfieber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas B. Morgenstern
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Boot kippte im letzten Moment zurück. Als das Segel schlaff war, konnte der Wind nicht mehr auf das Schiff drücken.“
    Nina schluckte.
    „Hast du auch Angst gehabt?“
    Allmers nickte: „Vor allen Dingen, weil ich kein guter Schwimmer bin. Danach war ich nie wieder auf einem Segelboot. Ludwig hat dann gleich den Motor angeworfen und wir sind nach Hause getuckert. Keiner hat während der ganzen Rückfahrt auch nur ein Wort gesprochen.“
    „Und dein Freund?“
    „Der hat das Boot verschenkt.“ Allmers machte eine Pause, sie sollte dramatisch wirken, er wollte unbedingt Eindruck bei seiner Nichte schinden.
    „Am Höhepunkt der Flut“, beruhigte Allmers Nina, die immer noch erschrocken war, „wenn die Gezeiten kippen, dauert es eine ganze Weile, bis sich der Strom umkehrt. Dann ist die Elbe so ruhig wie ein See, es gibt praktisch keine Strömung und man kann gefahrlos baden.“

Kapitel 19
    Sie waren ein paar hundert Meter auf dem Deich gelaufen und, als sie die Stelle erreicht hatten, die Allmers am besten gefiel, hinunter gerannt und waren atemlos, als sie den Sandstrand der alten Elbinsel erreicht hatten. Nina staunte: die Unterschiede zwischen dem kleinen Hof im Moor und der Weite hier am Fluss beeindruckten sie wieder so stark wie beim ersten Mal, als sie die Elbe erkundet hatte. Es schienen Welten und nicht nur einige wenige Kilometer zwischen diesen beiden unterschiedlichen Landschaften zu liegen. Der Strand war vor Jahren künstlich aufgeschüttet worden, man hatte den Tourismus ankurbeln wollen und von weit her Sand gekarrt, mit großen Lastwagen und ihn mit einem Bagger verteilt. Ein paar Jahre später war ein Großteil der ganzen Pracht schon wieder auf dem Weg in die Nordsee. Der Strom hatte begonnen, die alten Buchten wieder einzukerben: bei manchen war es noch kaum zu bemerken, andere hatten schon fast wieder ihre ursprüngliche Form.
    Es war sehr heiß und Allmers sehnte sich nach friedlicher Lektüre in seiner Hängematte. Nur der Schatten der knorrigen Weiden, die widerspenstig den ewigen Wasserwechseln Paroli boten und kreuz und quer in alle Richtungen wuchsen, tröstete ihn über den Verlust seiner Gartenidylle. Die Bäume standen in einigem Abstand vom Wasser auf einer etwas höher gelegenen Sandfläche, der Boden zwischen ihnen wurde abwechselnd von Licht und Schatten bemalt und war bewachsen mit schütterem Gras. Viele junge Leute nutzten diese Wäldchen, um im Sommer dort verbotenerweise zu zelten und laute Feste zu feiern. Heute schien es noch zu früh zu sein, die Jugendlichen kamen immer erst gegen Abend und Allmers war froh, von ihrer Musik verschont zu werden.
    „Hier?“, fragte Nina enttäuscht, als Allmers sich unter den Bäumen niederlassen wollte. „Ich will in die Sonne.“
    Allmers schlug einen Kompromiss vor: er werde sich an den letzten Schatten spendenden Baum lehnen, sie könne sich ein paar Meter davor in den Sand legen.
    Allmers schlug sein Buch auf, versuchte zu lesen, klappte es wieder zu, stand auf, ging unruhig umher und setzte sich nervös. Wenn er am Nachmittag in seinem Garten in der Hängematte lag und las, konnte das niemand sehen, dachte er. Wenn ihn aber hier jemand sehe, würde er sofort zum Objekt des Spotts im Dorf werden, dessen war er sich sicher.
    Er sah auf die Uhr. Nina machte immer noch keine Anstalten, ins Wasser zu gehen, rieb sich ausführlich und mit Hingabe mit Sonnenmilch ein und bat Allmers schließlich, ihr den Rücken einzucremen.
    „Du kannst ins Wasser“, sagte er schließlich, in der Hoffnung, bald wieder seine Sachen packen zu können.
    „Du kommst nicht doch mit?“
    Allmers schüttelte den Kopf: „Ich genieße es gerade, nur hier zu sitzen.“
    Allmers beobachtete seine Nichte und war erleichtert: sie schien sich an seine Warnung zu erinnern und schwamm nur in der Nähe des Ufers.
    Erstaunt sah er, wie sich Nina ohne Scheu einer Gruppe junger Leute näherte und mit ihnen ins Gespräch kam. Wenn mir das auch so leicht fiele, dachte er, ginge es mir sicher besser. Seit Monaten hatte er mit niemandem anderen geredet als den Bauern, seinem Bruder und Nina. Insgeheim war er sehr froh über ihren Besuch, ihre plappernden Gespräche. Manchmal hatte er das Gefühl, dass er sich innerlich schon auf die Rente vorbereitete.
    „Deine Freundinnen werden wohl immer jünger?“, sagte eine schneidende Stimme hinter ihm und Allmers drehte sich erschrocken um. „Hast du nur noch Erfolg bei Schulmädchen?“
    Allmers sprang auf. Wiebke Voß

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