Milchfieber
nuschelte und sprach Plattdeutsch. Wie soll ich da ein einziges Wort verstehen? Er könnte auch chinesisch sprechen. Du kannst ja auf dem Display nachsehen.“
Allmers nickte und nahm sich das Telefon. Nach mehreren Versuchen gab der das Gerät seiner Nichte: „Versuche du es einmal. Ich scheitere regelmäßig.“
Nina arbeitete sich durch das Menu und hatte nach kurzer Zeit die Nummer herausgefunden: „Eine Handynummer. Rufe doch einfach an.“
Es war Horst Winkler, der ans Telefon ging.
Er wolle bald Milchkontrolle machen, sagte er und Allmers war einverstanden.
„Morgen Abend geht’s zum Taktschlachter“, Allmers grinste. „Willst du mit?“
Nina sah ihn verständnislos an: „Wohin?“
„Zum Taktschlachter“, lachte Allmers.
„Und was ist das?“, Nina wusste nicht, ob sie sich auf den Arm genommen fühlen sollte.
„Das ist der Spitzname von Horst Winkler. Er spielt Schlagzeug in einer Band, die hier auf Hochzeiten auftritt. Er spielt nicht besonders gut, aber auch nicht besonders schlecht. Daher ,Takt‘. Und dann arbeitet er neben seinem Beruf als Bauer auch noch als Hausschlachter. Daher ,Schlachter‘. Also: Taktschlachter.“
Nina lachte so heftig, dass sie sich verschluckte.
„Sein Bruder ist Klausi Pinkler.“
Allmers’ ernst gemeinte Bemerkung führte bei Nina zu noch heftigerem Lachen, das so lange anhielt, dass Allmers fast die Geduld verlor.
In ihr immer wieder prustendes Lachen erklärte er, dass Klaus auch heute noch bei größeren Aufregungen Probleme mit der „Beherrschung der Blasenmechanik“, wie er es nannte, habe. Die nasse Hose passiere Klaus Winkler immer, wenn er in irgendwelche Auseinandersetzungen geriet, denen er sich nicht gewachsen fühlte und sei es eine Diskussion beim Schmied über eine angeblich schlecht ausgeführte Reparatur.
„Klausi ist der Mann mit dem Fahrrad.“
„Ich bleibe zu Hause!“, bestimmte Nina.
*****
Wiebke schien auf ihn gewartet zu haben. Kaum war Allmers denselben Weg gegangen wie ein paar Tage zuvor mit Nina und hatte den Sandstrand der Elbe erreicht, löste sich aus dem Schatten der Weiden eine Gestalt und kam zielstrebig auf ihn zu.
Allmers zeigte sich überrascht, aber es war gespielt. Er hatte gehofft, Wiebke zu treffen, nur deshalb war er kurz nach dem Mittagessen nach Krautsand gefahren. Nina war ihm, ohne es zu ahnen, entgegengekommen, als sie verkündete, den Nachmittag nicht mit ihm verbringen zu wollen, auch kein Interesse habe, am Abend zur Milchkontrolle mitzugehen, sondern mit ihrer neuen Bekanntschaft − da wurde Allmers hellhörig und fragte: „männlich oder weiblich?“ − den Nachmittag verbringen zu wollen. Bei Allmers Frage hatte sie nur gelangweilt die Augenbrauen gehoben. „Ein Meter fünfundachtzig, Bizeps wie ein Speerwerfer und ein Bauch wie ein Sixpack.“ Sie hatte sich umgedreht und war aus der Küche gerauscht.
„Lass uns ein wenig spazieren gehen“, meinte Wiebke ohne lange Begrüßung und hakte sich bei ihm ein.
Wie ein altes Ehepaar, dachte Allmers, als sie mehrere Minuten schweigend direkt am Wasser entlanggingen. Manchmal, sinnierte er, schweigen die Leute, weil sie sich auch durch das Schweigen gut verstehen, manchmal, weil sie sich nichts mehr zu sagen haben.
„Wie lange kennen wir uns?“ fragte Wiebke in seine Überlegungen hinein.
„Seit du vierzehn warst“, Allmers konnte sich noch sehr genau an den Beginn ihrer Sommerfreundschaft erinnern. Sie war es gewesen, die ihn aus seiner Schüchternheit gegenüber Mädchen herausgeholt hatte. Jeder Junge in der Schule wollte damals Wiebke als Freundin haben, sie war mit ihrer forschen Freundlichkeit der Mittelpunkt auf dem Schulhof gewesen. Sie hatte sich aber Allmers, den unsicheren und pickeligen Jungen, ausgesucht, der zudem noch die altmodischsten Klamotten getragen hatte. Das alles war Wiebke egal gewesen, sie hatte sich heftig in ihn verliebt und allen anderen Bewerbern die kalte Schulter gezeigt.
„Fast zwanzig Jahre“, Wiebke schien ehrlich erstaunt. „Und was ist in der Zwischenzeit alles passiert!“
„Ich habe immer die Leute bedauert“, meinte Allmers, „die als Kinder oft umziehen mussten. Man kann dann einfach keine dauerhaften Freundschaften aufbauen, die über ein ganzes Leben gehen. Du kennst doch Garbe, den Bauern?“
Wiebke nickte: „Das ist doch der mit dem Melkkarussell?“
„Sein bester Freund ist an der Uni in Hamburg. Ich weiß nicht, was er da arbeitet. Sie kennen sich seit der Zeit in der
Weitere Kostenlose Bücher