Milchfieber
stand hinter ihm und ihre Augen verhießen nichts Gutes.
Wiebke Voß. Er hätte jeden hier erwartet, nur nicht sie.
„Was machst du denn hier?“, fragte er überrascht.
„Meine Frage war ernst gemeint!“, zischte sie. „Das kann ich kaum glauben. Macht es dich an, jungen Mädchen den Rücken einzucremen?“
Allmers schüttelte nur den Kopf: „Rege dich bitte ab. Das ist Nina, meine Nichte aus Stuttgart. Ich muss den Bademeister spielen.“
„Entschuldige“, murmelte Wiebke Voß verlegen, wurde rot und drehte sich um. Sie schien wieder gehen zu wollen.
Allmers hatte Wiebke schon ein paar Monate nicht mehr gesehen. Nach der Verhaftung ihres Mannes Jochen war Wiebke in ein tiefes Loch gefallen, wie sie es nannte und hatte ein paar Mal Trost bei Allmers gesucht. Sie hatten mehrmals versucht, ihre alte Jugendliebe wieder aufzufrischen, aber es war immer nach ein paar Tagen gescheitert.
„Warte“, sagte Allmers, „wir können uns ja setzen.“
„Ich glaube, ich möchte nicht. Mir ist das von eben sehr unangenehm“, erwiderte Wiebke. „Ich wusste ja nicht, dass du Besuch hast. Ist deine Schwester auch da?“
„Gott bewahre“, meinte Allmers und lachte, „das wäre zu viel Familie.“
Wiebke schwieg und sah auf das Wasser. „Ich bin zur Zeit jeden Nachmittag hier“, sagte sie nach einer Weile. „Ich arbeite nur vormittags in der Apotheke.“ Sie drehte sich zu Allmers um und er sah, wie ihre Augen nass wurden. „Ich kann immer noch nicht richtig arbeiten.“
„Nimmst du noch die Mittel?“, fragte Allmers und meinte die Antidepressiva. Wiebke nickte und setzte sich verlegen.
„Davon wird man auch nicht fitter“, meinte sie, „man kann nur alles besser ertragen.“
Nina kam das Ufer hoch gerannt, winkte einem Mädchen zum Abschied zu und stellte sich vor Allmers. Sie schüttelte den Kopf und bespritzte ihn mit Wasser. Dann sah sie Wiebke, grüßte verlegen und ging zu ihrem Handtuch.
„Wir müssen bald los“, rief Allmers, „ich muss nachher zur Kontrolle.“
„Und bei Hella Kuchen essen“, meinte Wiebke trocken.
Kapitel 20
„Als das Mädchen zu uns kam“, sagte der Staatsanwalt, „habe ich zuerst gelacht. Ausgerechnet bei unserem Freund Horst! Aber sie erzählte und erzählte, bis ich hellhörig wurde.“
Hans-Georg Allmers sah seinen Bruder erstaunt an: „Du hast ihr geglaubt?“
Allmers war sehr verwundert. Die Polizeiaktion war ein paar Tage her und er hatte seinen Bruder zum letzten Mal gesehen, als er ihn mit Nina in seinem Büro besucht hatte. Werner Allmers war überraschend am Abend aufgetaucht, „Auf ein Bier“, wie er sagte. Hans-Georg war sich gleich sicher, dass der Staatsanwalt mehr wollte, als nur ein Bier trinken.
„Sie war so aufgelöst“, nickte Werner Allmers. „Sie weinte so überzeugend, dass ich mich breitschlagen ließ, ihr zuzuhören. Sie wandte sich gleich an mich“, Hans-Georg hörte den Stolz aus den Worten, „sie wusste ja, dass ich schwierige Fälle immer gerne selbst in die Hand nehme.“
Hans-Georg atmete tief durch. Er beschloss, sich keinen Unmut anmerken zu lassen: „Natürlich. Außerdem ist sie ja unsere Nachbarin.“
Werner Allmers nickte: „Na ja, meine Erfolge bei Poppe und deinem Freund Jochen sind ja auch nicht von der Hand zu weisen.“ Er rückte ächzend seinen Stuhl zurecht. Sie saßen in Allmers Küche am großen Tisch, an den er meistens seinen Besuch bat. „Das Mädchen hat also was mit Alexej Kowalenko gehabt. Er wohnte bei Horst und seiner Schönen und das Mädel ist jede freie Minute hingelaufen.“
Hans-Georg nickte. „Das wusste jeder hier. Erst wollten die Eltern das verhindern, aber Ines ist siebzehn und hat sich nichts mehr sagen lassen, erzählte Hella. Sie ist aus dem Fenster gestiegen und hat bei Alex übernachtet. Irgendwann haben die Eltern aufgegeben.“
„Richtig. Das ging ganz schön lange so. Er scheint sie gut um den Finger gewickelt zu haben. Aber plötzlich war er verschwunden, sagt sie.“
„Sie hat das hier auch rumerzählt. Jeder hat mit den Schultern gezuckt und gedacht: da wird er ihrer wohl überdrüssig geworden sein und ist abgehauen. Außerdem war er wohl illegal hier, wurde jedenfalls gemunkelt.“
Werner Allmers nickte: „Das war perfekt eingefädelt. Als sie den Namen Alexej Kowalenko nannte, hat es eine Weile gedauert, bis es bei mir geklickt hat. Aber dann habe ich nachforschen lassen, und siehe da: den Herrn kennen wir. Eine ganz dicke Akte. Gesucht wegen gefährlicher
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