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Milchfieber

Milchfieber

Titel: Milchfieber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas B. Morgenstern
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abgeschafft und sich nur noch auf die Rinderhaltung spezialisiert. So wurde der Ruf nach dem Hausschlachter immer seltener.
    Friedel und Hella Köhler hielten nichts von den neumodischen Errungenschaften. Ihnen schmeckte die Wurst nur, wenn sie sie in der eigenen Küche machten und alle Beteiligten zum Schluss des kleinen Schlachtfestes zur dampfenden Wurstsuppe einladen konnten. Sie schlachteten jedes Jahr ein Schwein und ein Rind, waren den ganzen Tag mit dem Wurstmachen beschäftigt, nur den Schinken gaben sie zum Pökeln und Räuchern einem befreundeten Schlachter. Am Ende verteilten sie das Fleisch an die Kinder und behielten einen Jahresvorrat für sich.
    „Trotzdem!“, beharrte Hella Köhler, „ich habe ein komisches Gefühl.“ Sie schnitt sich ein weiteres Stück Käsesahne ab.
    Allmers horchte auf. Hellas Intuitionen hatten immer eine tatsächliche Ursache. Woher sie die meisten Sachen wusste, war Allmers klar.
    „Hat Friedel was erzählt?“, fragte er und wunderte sich selbst über die selbstverständliche Scheinheiligkeit, mit der er diese Frage stellte.
    „Nein.“ Hella ließ sich nichts anmerken. Allmers war erleichtert. Und als sie weiterredete, wusste er, dass sie sich hatte überrumpeln lassen: „Die Fenster bei Horst haben seit neuestem alle Vorhänge.“
    „Wenn man frisch verheiratet ist, ist es wahrscheinlich ganz gut, Vorhänge zu haben“, Allmers beeilte sich, von dem Thema weg zu kommen. „Hast du noch die Nussecken von gestern?“
    Hella stand auf, öffnete den Wandschrank und zu Allmers Freude zauberte sie noch ein paar Stückchen hervor.
    Heute war Allmers bei Köhlers Nachbarn zur Milchkontrolle angemeldet und war wie üblich bei Hella Köhler zu Kaffee und Kuchen eingekehrt.
    „Außerdem hat sie abgesagt, die Russin“, spann Hella den Faden weiter. „Normalerweise geht sie nie ans Telefon, aber diesmal hat sie extra hier angerufen.“
    „Ich glaube, sie kommt aus Polen. Das hört man bei jedem Satz.“
    „Ich kann nicht unterscheiden, ob jemand aus Polen oder Russland kommt. Ist ja auch egal. Und außerdem haben sie Ines weggeschickt.“
    „Na und? Die war sowieso noch viel zu jung für diesen Gewichtheber“, meinte Allmers.
    Hella nickte. „Ewald ist ganz froh darüber. Ines war so wild auf den Kerl, dass sie nachts aus dem Fenster geklettert war, obwohl Renners ihr den Umgang verboten hatten. Irgendwann haben sie resigniert. Dann ist sie auch gleich nach der Schule hin.“
    Allmers stand auf und sah aus dem Fenster.
    „Ich glaube, Brokelmann hat die Kühe immer noch nicht geholt“, sagte er. Hella schenkte Kaffee nach.
    „Ines glaubt nicht, dass Alex einfach ausgezogen ist“, Hella konnte nicht von dem Thema lassen. „Sie haben ihr gesagt, er wäre ausgezogen und sie sollen schön von ihm grüßen.“
    „Hast du Ines gesprochen oder woher weißt du das alles?“, Allmers wunderte sich immer wieder über Hella Köhlers umfangreiches Wissen, dass sie zu einer nicht zu überbietenden Quelle für Gerüchte, Halbwahrheiten und Tatsachen über das Leben der Dorfbewohner machte.
    Hella nickte: „Inge und Ewald haben bald Silberhochzeit und da bin ich einfach mal hingegangen um ein bisschen über die Vorbereitungen zu sprechen.““Und dabei hast du Ines getroffen?“
    „Ines wusste, dass Alex auch etwas mit Lissy hatte“. Hellas Stolz über die Brisanz dieser Nachricht war ihr anzusehen.
    „Mit Lissy? Weiß Horst davon?“, fragte Allmers verwundert. „Hat Ines das nicht gestört?“
    Er legte sich vorsichtig einen Klecks Schlagsahne auf seine Kirschtorte, die mittlerweile auf seinem Teller lag. Die Kirschzeit war fast zu Ende. Erst dann, Mitte bis Ende Juli, gab es die „Bittere Blanke“, eine fast vergessene Sorte, die als Marmelade oder Kuchenbelag unschlagbar war, wie Hella und Allmers gemeinsam fanden. „Hast du noch Kaffee?“
    „Das Wasser kocht bald“, erklärte Hella. „Ob Horst das weiß, kann ich nicht sagen, aber Ines war wohl so vernarrt in ihn, dass sie ihm das nachgesehen hat. Sie war halt sein Vögelmädchen.“
    Allmers lachte: „Was ist denn das für ein Ausdruck?“
    „Wenn die Mädchen 12 oder 13 sind, werden viele Pferdemädchen. Sie pflegen oft kostenlos die Pferde von irgendwelchen reichen Städtern und dürfen dafür ab und zu mal reiten. Meine Tochter hat so etwas auch mal gemacht, bis ich ihr das verboten habe. Der Pferdebesitzer wollte nämlich auch etwas Pflege.“
    Allmers wunderte sich manchmal über Hella. Sie konnte oft die

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